Unterwegs im Koreanischen
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KDrama nach Themen: Beispiele für KMovie

Keys to the Heart

Mit diesem KMovie wurde haargenau ins Herz gezielt. Im internationalen Titel "Keys to the Heart" wird das schon angedeutet. Ebenfalls, dass das Piano dabei eine Schlüsselrolle spielt. Im Englischen ist das Wortspiel in ´Keys´ - 88-key piano - versteckt: die 88 weißen und schwarzen Tasten des Klaviers.

 

Der Originaltitel "Nur das ist meine Welt" bezieht sich auf seine Weise auf das Piano, denn dies ist die Welt des autistischen Protagonisten Jin-tae. Dies bezieht sich jedoch auch auf die (ebenfalls begrenzte) Welt seines Bruders Jo-ha, zu der Jin-tae künftig dazugehört. Schließlich dreht sich in der Welt ihrer beider Mutter alles um Jin-tae (und Jo-ha). "Keys to the Heart" ist ein Geschichte über jene Mutter und ihre beiden sehr verschiedenen Söhne. Den einen hatte sie als kleinen Jungen unter dramatischen Umständen vor Jahrzehnten zurückgelassen und der hat es ihr bis heute nicht vergessen. Der andere ist Autist mit Savant Syndrom.

 

Viele sagen, die Story würde auf die Tränendrüse drücken. Ja. Die Geschichte will ans Herz. Doch nicht einfach so wonnig, wohlig, und wunderbar. Tatsächlich wabert um dieses Herz, das berührt werden will, eigentlich nur Schmerz. Der Rahmen der Story zeichnet ein desillusioniertes, deprimiertes Szenario der Lebenswelten ALLER Figuren - ganz gleich, ob sie nun reich oder mittellos sind, oder sonst ein mehr oder weniger gutes Auskommen haben. (Die Ausnahme von der Regel bildet hier der autistische Jin-tae.) Als wäre es das Selbstverständlichste in der südkoreanischen Welt, dass die Menschen leise leiden. Darin steckt ein gutes Stück Gesellschaftskritik. Ich finde, das wird in den Filmkritiken oft übersehen.

Da ist der saufende, schlagende Vater; der verlassene Sohn; der mittellose Sohn, der nichts kann, außer boxen; die brutale Welt der Dog-Fights, in der sich Boxer für Geld blutig schlagen; die krebskranke alleinerziehende Mutter; die Mutter mit Schuldgefühlen; der autistische Sohn; die depressive, suizidale, reiche, einst berühmte Invalidin; die Jaebeol CEO, deren ganzes Geld doch nicht hilft, ihr das Glück ihrer Tochter zurückkaufen zu können. Ein tristes, ernüchterndes Zeitdokument. Ein Gesellschaftsbild nicht etwa der krisengebeutelten 1990er Jahre, sondern eine schlichte, nüchterne gesellschaftliche Bestandsaufnahme der südkoreanischen Wohlstandsgesellschaft aus dem Jahr 2018...

 

In diese prinzipiell düstere Alltagswelten scheint nun etwas herzerwärmendes Licht. (Und in die der Zuschauer*innen ebenfalls.) Das sind eher kleine Spots, kurze Details, unscheinbare Momente, (wenn man/frau vom großem Scheinwerferlicht des Finale absieht, das etwas spektakulärer daher kommt). Über die Strecke jedoch machen jene kleinen Spots den Unterschied. Kein Geistesblitz, eher ein Herzensblitz, in dem das verletzte Ego für einen Moment beiseitetritt: für einen Moment der Klarheit, für das Wesentliche: das was JETZT ist. Für einen Moment kann jede/r das Leid, das er/sie mit sich herum trägt, einfach loslassen, und offen sein, für das, was das Leben in diesem Moment zu bieten hat: Schönheit, Wärme, Freude, Hoffnung. Dieses JETZT kann transformieren, heilen, die Sicht auf die Welt von jetzt auf gleich völlig verändern. Die Welt auf dieser Erde an sich ist dieselbe, der Planet ändert auch nicht seine Bahn deswegen. Es ist nicht plötzlich ´alles wieder gut´. Und doch ist es ein ´Alles-IST-Gut´. ... Da wären wir beim Lieblingszitat des KMovies: "Impossible is not a fact. It's an opinion." (Muhammad Ali)

 

Mit der Pianomusik wird ein Knopf gedrückt. Dabei bekommen die Musikstücke durchaus ihren Raum und fordern die Zuschauer*innen auf, die Zeit zu nutzen, um nachzuspüren. Doch auch hier versäumt die Story nicht, bei der Gelegenheit auf das egodurchtriebene Geschäft damit, hinzuweisen - Talent und Leidenschaft der Musiker*innen mag auf der einen Seite stehen, die ganz persönlichen Interessen einzelner Lehrer*innen und Direktor*innen jedoch auf der anderen...

Mit Jin-tae als Junger Mann mit einer Autismus-Spektrum-Störung mit Savant Syndrom drückt das KMovie natürlich ebenfalls einen ausgewählten Knopf, mit der Absicht, die Herzen zu bewegen. Doch auch diese Entwicklungsstörung wird nicht romantisiert, sondern in schlichter Bestandaufnahme als meist anstrengend und aufreibend gezeigt.

Besonders pointiert und kraftvoll: Der Kontrast zwischen der Welt der zugeknöpften, reservierten, ernsten, fein gekleideten klassischen Musikszene mit dem kindlichen, impulsiven und verspielten aber genialen Jin-tae, dessen Klavierspiel für einen Moment Mauern einreißt.

 

Und dann wären wir wieder am Anfang: eine Geschichte über jene Mutter und ihre beiden sehr verschiedenen Söhne... Da gibt es Verletzung, Abschiedsschmerz und so manches, was das Leben bietet, um sich zu entfremden, oder einsam und verlassen zu fühlen. Und da findet die noch so verkorkste Liebe ihre noch so verkorksten Momente. Ich finde nicht, dass die Vorhersehbarkeit hier ein Problem ist, denn das KMovie will nicht wirklich ´spannend´ sein. Es will das Herz berühren, und das tut jeder/m gut. Dabei ist dann vielmehr das WIE entscheidend. Und das gelingt hier durch die nüchterne Erzählweise einer im Grunde eher deprimierenden Story, die von kurzen, unspektakulären Momenten (und den Schauspieler*innen) lebt, in denen ´neue´ JETZT-Entscheidungen getroffen werden und Herzöffnung möglich wird.

 

Großartig! (Prädikat: "wertvoll".)

 

 

Randnotizen zum Savant-Syndrom

Das Savant-Syndrom ist im Kino schon manches Mal Thema gewesen, beispielsweise in der US-Produktion "Rain Man". Es gibt weltweit ca. 100 „Savants" (vom frz. ´savoir´ = wissen, wie es geht) - dementsprechend ist das Phänomen nur bedingt wissenschaftlich untersucht. Menschen mit Savant-Syndrom verzeichnen einerseits eine allgemeine Intelligenzminderung, andererseits gleichzeitig spektakuläre kognitive Leistungen in  Wahrnehmung, Erinnerungsvermögen oder Lernfähigkeit. Im musikalischen Bereich gibt es verschiedene Beispiele von Savants (wie der fiktive Jin-tae hier im Film), die ohne Musikunterricht, allein durch ihr absolutes Gehör nach einmaligem Hören fähig sind, die schwierigsten Musikstücke detailgenau akzentuiert wiederzugeben.

 

Allerdings geht das Savant-Syndrom meist Hand in Hand mit Autismus-Spektrum-Störungen. Dies wiederum bezeichnet Entwicklungsstörungen unterschiedlich schwerer Ausprägung. Die betroffenen Menschen haben charakteristischer Weise wenig Interesse und Kompetenz im Zusammenhang mit sozialen Kontakten. Sie leben bevorzugt in ihrer eigenen Welt. Ihre Wahrnehmung ist dabei stark auf Details konzentriert und gewichtet diese nicht, wie die meisten mehrheitlich sozialisierten Menschen um sie herum. Details, die andere übersehen, werden subjektiv entscheidend, während die für ihr Umfeld als wesentlich erachtete Informationen keine besondere Rolle spielen mögen. Alle Informationen sind in ihrer Wahrnehmung zunächst gleichwertig. Ohne die sozial-kognitiven Filtersysteme, wie sie nicht autistische Menschen entwickeln, ist der Moment einer Reizüberflutung gefolgt von Stress somit schnell erreicht.

그것만이 내 세상 - Geugeotmani Nae Sesang

Lit: Nur das ist meine Welt

 

2018, 120 Minuten

 

Hauptdarsteller*innen:

-Lee Byung-hun
-Youn Yuh-jung 
-Park Jeong-min 
-Han Ji-min

 

Plot:

Jo-ha´s Zeiten als Boxer sind eigentlich vorbei.  Etwas anderes hat er aber nicht gelernt. Durch Zufall stolpert er über sein Mutter, zu der er seit seiner Kindheit keinen Kontakt mehr pflegt. Sie bietet ihm an, bei ihr und Jin-tae, ihrem zweiten Sohn, zumindest vorübergehend unterzukommen. Da er keine Alternative hat, lässt sich Jo-ha darauf ein. Mürrisch und ablehnend. Mit einem autistischen Bruder kann er da zunächst gar nichts anfangen. 

 

Das ändert sich, als die Mutter für eine Zeit beim Aufbau einer Filiale in Busan helfen soll und die beiden Jungs so lange alleine lässt. Zwangsläufig kommen die beiden Brüder einander näher und Jo-ha lernt ganz ungeahnte Seiten an Jin-tae, doch auch an sich selbst kennen. 

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