Unterwegs im Koreanischen
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KDrama nach Themen: Bildung & Arbeitswelt

Melancholia

"Melancholia" ist mal wieder ein strahlender Edelstein auf leisen Sohlen in der KDrama-Welt. Wer einfach eine süße Romanze sucht, wird enttäuscht, das sag ich gleich. Dennoch ist die Geschichte eine Hommage an die Liebe. Außerdem geht es hier um Schule, Bildung, südkoreanischen Bildungswahn und den Markt drum herum, die Arroganz der oberen 10 Prozent der Gesellschaft, sowie Mobbing und Intrigen für optimale Zeugnisse. Insgesamt in mehrfacher Hinsicht anspruchsvoll. Prädikat "wertvoll"!

 

In "Melancholia" geht es um die Liebe zur Mathematik. Dabei ist die Mathematik für die Protagonist*innen das, was für Musikliebhaber die Noten oder für die Künstler Farben sind: eine Möglichkeit, um die Schönheit hinter der Schönheit des Lebens und der Ästhetik des Seins auf diesem Planeten zu erfassen bzw. zum Ausdruck zu bringen. In "Melancholia" gibt es zwei Menschen (und eigentlich noch zwei mehr), die diese Schönheit mit ihrem mathematischen ´Sinnesorgan´ erkennen, zutiefst fühlen, verstehen, und noch tiefer eintauchen wollen - und sich dabei sehen, begegnen und einander verstehen, wie sie in ihrem Innersten empfinden. 

 

"Melancholia" bezieht sich auf "Melancholia I" - einen der drei Meisterstiche von Albrecht Dürer, den Mentorin und Schüler im Rahmen der Geschichte gemeinsam betrachten und sich darüber verständigen, verstehen, näher kommen. Das Dürer-Kunstwerk ist eine allegorische Komposition, gespickt mit geometrischen Elementen und Symbolen. Dazu gibt es in der Fachwelt mittlerweile die unterschiedlichsten Interpretationen. Die beiden Protagonist*innen im KDrama werden dadurch inspiriert und deuten begeistert mit. Im Zusammenhang mit "Melancholia I" von Dürer ist auch sein Satz "Was aber die Schönheit sei, das weiß ich nit" überliefert. Diese Schaffenskrise, durch die jeder schöpferische Mensch (ob Mathematiker, Künstler o.ä.) irgendwann gehen muss, prozessiert das KDrama in eigener Spielart, wenn sich in der ersten Hälfte der männliche Protagonist und in der zweiten die weibliche Protagonistin an dieser Frage reiben. Beide sind auf ihre Art aus ihrer Spur geworfen und haben den Zugang zu ihrer freudvollen Schaffenskraft vorübergehend aus dem Auge verloren. So stehen sie zwangsläufig im Angesicht des Melancholischen, das hier gleichsam als dunkler, schwarzer Tunnel den Durchgang zu einer neuen lichtvollen Dimension ihrer Schaffenskraft eröffnet.

 

Im Hinblick auf den Schüler rückt "Melancholia" in der ersten Hälfte eine Variation von Weltschmerz ins Rampenlicht, die gleichsam ein Ausdruck von Leiden an der Schönheit der Welt ist. Der Protagonist kann nicht anders, als diese Perfektion der Ästhetik in allem überall zu erkennen. Und doch ist er damit allein. Er kann seine Wahrnehmung nicht vermitteln, sein Erleben mit seinen Mitmenschen nicht teilen. Das ist für die anderen zu hoch. Familie, Freunde und selbst manche Lehrer können ihm da nicht folgen oder wirklich verstehen, worum es ihm geht. Manche/r seiner Mitschüler*innen mag ihn da als Angeber missverstehen und ihm sein Genie neiden. Genau genommen leidet er an der Einsamkeit, in der er steckt. Nicht an der Schönheit der Welt. Doch das ändert sich, nachdem er eine Mentorin trifft, die einmal nicht wie viele andere auf ihren eigenen Vorteil in Anbetracht seiner ´Genialität´ aus ist. Vielmehr erkennt sie seine seltene Wahrnehmungsfähigkeit und gibt dem eine geerdete Richtung. Sie förderte nicht das Genie, sondern den Menschen, der sein Talent nicht ausbeuten, sondern lernen soll, es zu genießen. Schon allein, dass er die Erfahrung macht, mit seiner Art, die Welt zu erleben, nicht allein zu sein, hilft ihm aus seinem Leid heraus. So findet er seinen Platz in der Welt und muss sich nicht mehr vor ihr zurückziehen und verstecken. 

 

"Melancholia" zeigt jedoch auch die Mentorin, wie sie ihrerseits in einer weltabgewandten, depressiven Phase festsitzt. Das Motiv ist dabei dasselbe: ebenfalls einsam, isoliert, eingeschlossen in ihren Gefühlen, die sie mit einer Welt, die sie nicht verstehen kann, nicht zu teilen vermag. Und dieses Mal ist es ihr Schüler, der sie erinnert und ermutigen kann, den Schritt heraus und zurück in die Welt zu wagen. 

 

"Melancholia" ist bei alledem ein Hohelied auf die höhere Mathematik, mit der die Schönheit des Lebens eine abstrakte Form(el) findet - aber auch auf die Kunst, welche die Formeln und mathematischen Erkenntnisse in wieder neue Farben und neue Formen ästhetisch zu übersetzen versucht.

 

"Melancholia" ist eine Hommage an die Liebe zwischen zwei verwandten Seelen, die sich in ihrer Verwandtschaft erkennen und nicht anders können, als einander (selbst- und bedingungslos) zu lieben.

 

"Melancholia" ist aber auch eine von vielen Geschichten im Fahrwasser der Maschinerie einer brutalen südkoreanischen Bildungsindustrie, die skrupellos auf den Hoffnungen, Ängsten und Sorgen von Eltern und Schüler*innen reitet und immer wieder bittere Früchte an Mobbing, Missbrauch, Gemeinheit, Verzweiflung und Betrug hervorbringt. In diesem Zusammenhang wird eine Variation davon wieder einmal spannend, zugleich bewegend und hervorragend inszeniert erzählt.

 

Diese Geschichte der beiden Hauptprotagonist*innen ist zugleich eine Neuauflage und zeitgemäße Neuinterpretation der Beziehung zwischen zwei historischen Mathematikern: dem Tamilen Srinivasa Ramanujan und dem Briten Godfrey Harold Hardy. Das KDrama  bezieht sich auf die außerordentlichen, intuitiven mathematischen Fähigkeiten des historisch realen, tamilischen Mathe-Genies, der erst durch den Briten Hardy fachlich gewürdigt und gefördert wurde. 1913 kam Ramanujan nach England unter die Fittiche seines Mentors und wurde in der Folge durch mehrere bedeutende Entdeckungen bekannt. Es wird überliefert, dass Hardy einmal auf die Frage, was sein eigener größter Beitrag zur Mathematik gewesen sei, ohne zu zögern gesagt haben soll, dass dies (sein Mentoring für) Ramanujan war. Dabei bezeichnete er ihrer beider Beziehung als sein einziges romantisches Erlebnis im Leben. Und damit bezieht er sich allem voran auf die sehr spezielle Form der Erotik ihrer geteilten, hochkonzentrierten, geistigen Höhenflüge. Wer diese Erfahrung eines geteilten ´Eureka´ selbst nie gemacht hat, wird mit dem Aspekt der Romance in diesem KDrama möglicherweise eher etwas hadern. Alle anderen werden das anders erleben... .

 

Irgendjemand hat übrigens herausgefunden, dass im Geiste des mathematisch inspirierten, dramaturgischen Leitmotivs von "Melancholia" auch eine geometrische Struktur (6+6+2+2) im inhaltlichen Aufbau der Episoden des KDramas gewählt wurde. Die Folgen 1-6 und 7-12 folgen zweitversetzt dem selben Ablauf und skizzieren die ´Melancholie´ einmal des Schülers und einmal seiner Lehrerin - wobei diese beiden Einheiten jeweils mit einem ´Fehler in der Prämisse´ enden. Doch wie des Schülers Mentorin anfangs schon in den Raum wirft: es sind nicht nur Glück und Zufall im Schicksalsspiel beteiligt, sondern auch die Gerechtigkeit. Die nimmt sich dann in den letzten beiden Zweier-Einheiten doch auch noch ihren Raum.

Mathematischer Exkurs: Hardy-Ramanujan-Zahl/Taxi-Cab Zahl und Quadratur des Kreises

 

Ramanujans Hauptgebiet war die Zahlentheorie. Eine in diesem Zusammenhang bekannt gewordene Anekdote, die als Referenz für Mathefreaks auch ihren symbolischen Platz im KDrama erhalten hat, dreht sich um die Zahl 1729 - heute auch als Hardy-Ramanujan-Zahl bekannt. Hardy hatte sich nach der Fahrt mit dem Taxi zu einem Krankenbesuch bei Ramanujan über die vermeintlich langweilige Nummer seines Taxis ´1729´ geäußert. Im Gespräch wies Ramanujan jedoch darauf hin, dass es sich bei der Zahl 1729 tatsächlich um eine spannende Zahl handelt: sie sei die kleinste natürliche Zahl, die sich auf zwei unterschiedliche Weisen als Summe zweier Kubikzahlen (3. Potenz) darstellen lässt. Im Fachgeplänkel warf Hardy die Frage in den Raum, wie dann in diesem Zusammenhang wohl die Antwort auf das entsprechende Problem für die vierte Potenz lauten würde. Dies Antwort konnte Ramanujan nicht liefern, vermutete jedoch, dass es sich um eine sehr große Zahl handeln müsse. Dieser Krankenbesuch ist in die Mathematikgeschichte eingegangen. Vor diesem Hintergrund haben die beiden mal eben am Krankenbett (bahnbrechend) bewiesen, dass es für jede natürliche Zahl 

neine sogenannte Taxi-Cab Zahl {\displaystyle \operatorname {Ta} (n)}gibt. Die Werte dieser Zahlen sind jedoch mit zunehmender Potenz sehr groß. Inzwischen können sie mit Hilfe von Computern ermittelt werden. 

 

Ramanujan lieferte außerdem neben zahlreichen anderen mathematischen Entdeckungen  auch zwei geometrische Konstruktionen zur genäherten ´Quadratur des Kreises´. Dabei handelt es sich um ein klassisches Problem der Geometrie. Gesucht ist eine Konstruktion, die einen gegebenen Kreis in endlich vielen Schritten in ein Quadrat mit dem gleichen Flächeninhalt überführt. Heute wird der Begriff ´Quadratur des Kreises´ weltweit als Metapher für eine unlösbare Aufgabe benutzt... und unlösbare Aufgaben sind das, was auch die beiden Protaonist*innen im KDrama inspiriert...

멜랑꼴리아 - Mellangkollia

Lit.: Melancholia (griechisch)

 

2021, 16 Folgen

 

Hauptdarsteller*innen:
-Im Soo-jung
-Lee Do-hyun
-Jin Kyung
-Jang Hyun-sung


Plot:

Ji Yoon-soo erhält eine Anstellung als Mathematiklehrerin an einer elitären Oberschule. Die Rektorin der traditionsreichen Ahseong Oberschule hat große Ziele: Sie möchte das, was ihr Vater aufgebaut hat, exklusiv in den obersten Kreisen etablieren und irgendwann nur noch das oberste Prozent der Gesellschaft unterrichten. Der Weg dahin und auch der Weg ihrer Schüler*innen aus den Familien von Politikern, Anwälten und Co. ist jedoch durch Korruption gepflastert. Zwar stammen die Sprösslinge vielleicht aus prestigeträchtigen Familien, sie sind deswegen jedoch noch lange nicht sonderlich begabt. Da muss frau für exzellente Noten und hervorragende weitere Bildungschancen schon mal nachhelfen. 

 

Yoon-soo steht außerhalb dieser Maschinerie. Sie ist engagiert und unterrichtet mit innovativen didaktischen Methoden. Dabei sieht sie nur ihre Schüler*innen und unterscheidet nicht zwischen Herkunft, sondern lediglich hinsichtlich Leistung. Außerdem hat sie ein gutes Gespür dafür, ihre Schüler*innen da abzuholen, wo sie sind - wenn sie es denn wollen und sich darauf einlassen...

 

Baek Seung-yoo ist ein hochbegabtes Mathegenie. Seine Eltern gehören allerdings nicht zur gesellschaftlichen Elite. Nachdem er als Wunderkind gefeiert und schon mit 12 Jahren am MIT in den USA studieren durfte, folgte jedoch ein abrupter Absturz. Er kam zurück nach Südkorea und verweigert sich seitdem allem. Seine Noten sind eher schlecht und auch sonst hält er sich aus dem schulischen Leben heraus.

 

Yoon-soo erkennt jedoch nicht nur seine außergewöhnliche, intuitive Herangehensweise und mathematische Begabung, sondern allem voran seine Liebe zur Mathematik, die sich in der Welt um ihn herum zu erkennen gibt. Sie lässt nicht locker, seine Liebe für die mathematische Problemlösungen wiederzubeleben. Dabei ist sie die erste, die ihn dabei nicht antreibt und für ihr eigenes Renommee ausbeuten will. Vielmehr möchte sie ihn ermutigen, die Möglichkeiten und die Welt der Mathematik als Quelle seiner Lebensfreude zu genießen. Dazu fördert sie ihn gezielt und schafft es, Seung-yoo zurück ins Leben zu holen. 

 

Das freut seine Eltern, nicht jedoch seine Mitschüler*innen, die in ihm ausschließlich einen (gesellschaftlich gesehen) unwürdigen Konkurrenten sehen. Auch die Rektorin ist nicht begeistert, da sie längst andere Pläne hat. Yoon-soos Engagement und Seung-yoos unerwarteter schulischer Erfolg, insbesondere sein erstklassiges Abschneiden bei der Mathematik Olympiade, kommen ihr da massiv in die Quere. Sie schreckt vor nichts zurück, um ihre Ziele zu erreichen. Yoon-soos Kopf muss rollen. Ein fingierter Missbrauchsskandal wirft die junge Lehrerin aus ihrer beruflichen und privaten Bahn.

 

Nach einigen Jahren kommt Seung-yoo als gefeierter Mathematiker an die inzwischen als Ahseong Akademie für Mathematik und Kunst firmierende Privatschule seiner Jugend zurück. Yoon-soo wiederum lebt sozusagen Undercover als mit ihren didaktischen Methoden erfolgreiche Tutorin einer in der Seouler High-Society gefragten Nachhilfe-Akademie. Die beiden begegnen sich früher oder später wieder und wissen zunächst nicht, dass sie heimlich dasselbe versuchen: die Machenschaften der Ahseong-Rektorin offenlegen und für das Unrecht vor 4 Jahren Rache üben. Für Yoon-soo ist Seung-yoos Auftauchen nichts als eine störende, unbekannte Variable in ihrer ohnehin komplexen Gleichung. Seun-yoo wiederum ist schockiert, Yoon-soo so zermürbt und deprimiert zu erleben. Jetzt ist sie es, die jegliche Freude an ihrer einst so geliebten Mathematik verloren hat. Mehr denn je ist Seung-yoo entschieden, ihren Ruf wieder herzustellen und dafür zu sorgen, dass die unlauteren Ahseong-Machenschaften ein für alle Mal enden. Doch auch für ihn gibt es in seiner Gleichung einige unbekannte Variablen...

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