Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

KDrama nach Themen: Historiendramen

Gyeongseong Creature

Die Netflix Produktion "Gyeongseong Creature" entpuppt sich als recht eigenwillige Mischung. Studio Dragon durfte hier mal wieder experimentieren und dazu mit einer illustren Besetzung aus dem Vollen schöpfen. "Gyeongseong Creature" ist dabei trotz einiger Klichees kein banales KDrama, das man/frau schnell vergisst. 

 

Im Grunde handelt es sich dabei durchaus um einen Plot in vertrautem Strickmuster. Die Geschichte einer Mission Impossible mitten hinein in die Höhle des Löwen - in dem Fall: das Militärkrankenhaus des Armeestützpunkts der japanischen Kolonialherren inmitten der Hauptstadt der Kolonie Chōsen im Jahr 1945. Nicht die holde Jungfrau soll dabei gerettet werden, sondern die entführte, geschwängerte Kurtisane des Polizeichefs. Dabei stellt sich heraus, dass auf der Strecke auch noch ein ´Drachen´ - in dem Fall ein künstlich erschaffenes Monster - getötet werden muss. Es handelt sich also mal wieder um die Geschichte einer Heldenreise, auf welcher der (Anti-)Held ungeahnte Seiten in sich entdeckt. Flankiert wird er von einer wild zusammengewürfelten Truppe an langjährigen sowie spontanen Gefährt*innen. 

 

Nun kommt dieser alte Wein jedoch im korean-style frisch aufgepeppten Schlauch daher. Die persönliche Note von "Gyeongseong Creature" ist eben jenes Gyeongseong in jenen letzten Monaten des Pazifikkriegs, als Seoul diesen Namen trug. Das historische Setting sowie die geschichtlich und gesellschaftlich bedeutsamen Themen der japanischen Kolonialherrschaft vermitteln dem Plot seine Trennschärfe und ein dann doch auch sehr ernstes Fundament, so dass "Gyeongseong Creature" nicht einfach ´nur´ austauschbare 08/15 Unterhaltung bietet. Hier wird ein schmerzhaftes Kapitel südkoreanischen Leids in Form lose eingestreuter, bis heute nur mäßig aufgearbeiteter, geschweige denn offiziell durch Japan anerkannter oder gar entschädigter kritischer Ereignisse während der Kolonialherrschaft mit persönlichen Schicksalen verflochten und per Netflix nonchalant zur Kenntnisnahme in den Weltenkanal geworfen:

Allgemein die willkürliche rassistische Gewalt und Unterdrückung der Kolonialherren gegenüber den Koreaner*innen; konkret die systematische Folter und Hinrichtung von verdächtigen Widerstandskämpfer*innen im Sodaemun Gefängnis; dann die Zwangsrekrutierung zum Militärdienst und dort das rassistische Mobbing koreanischer Soldaten innerhalb ihrer japanischen Einheiten; außerdem der Einsatz von (koreanischen) Trostfrauen für die (Massenvergewaltigung zum Vergnügen der) Frontsoldaten... Und speziell im Fall dieser Geschichte die monströsen Machenschaften der Einheit 731 als Teil der Kaiserlich Japanischen Armee, die durch ihre unmenschlichen Experimente an menschlichen Versuchspersonen in die Geschichte einging. Diese Experimente fanden zwar eigentlich hauptsächlich in Harbin in der Mandschurei statt (siehe Randnotiz weiter unten), wurden jedoch für eine kompakte Erzählstringenz nun auch nach Gyeongseong importiert.

 

Vor diesem Hintergrund erzählt "Gyeongseong Creature" in künstlerischer Freiheit seine fiktive Geschichte. Dabei kann man/frau vereinzelt den Eindruck bekommen, man/frau habe sich in einer Parodie verirrt. Die Geschichte präsentiert sich auch im Angesicht des oftmals Unfassbaren stellenweise völlig unbeeindruckt von jeglichem Ernst. Da gibt es Raum für Witz und coole Sprüchen des (Anti-)Helden, der bei mir manchmal Assoziationen an eine Parodie auf ´James Bond´ und derartige Produktionen geweckt hat. Wir haben es dabei mit einem Helden wider Willen zu tun, der mal naiv, mal recht frech und selbstbewusst auftritt. Einer der gelernt hat, seine Ziele zu erreichen, der sich aber lieber aus allem heraushält. Einer im schicken Anzug, der jedoch offenbar Folter sowie Verletzungen innerhalb kürzester Zeit wegstecken kann, als ob es gar nichts wäre. Wirklich ernst nehmen kann man/frau das nicht. Und doch...

Demgegenüber steht reichlich sachlicher Ernst und Expertise der beiden fremden Reisenden in detektivischer Mission. Darunter übrigens eine erfreulich patente, selbstbewusste, in jeder Hinsicht schlagfertige Protagonistin.

Demgegenüber steht außerdem im Untergrund des Militärgeländes die extrem düstere Welt der medizinischen Experimente (und ihrer künstlerischen Dokumentation).  Demgegenüber stehen schließlich auch das Monsterwesen, die Armee und die eingekerkerten Versuchspersonen.

Und mittendrin in der perfiden Verfolgungsjagd blitzen dabei die großen Gefühle der Menschheit auf: Darunter wirken familiäre Liebe und Verbundenheit sowie verletzter Stolz und Eifersucht als treibende Kräfte, flankiert von patriotischem Widerstandskampf und fragwürdigem wissenschaftlichem Ehrgeiz. Kaum verwundert es, dass da auch Amor en passant noch seinen Pfeil abschießt.

 

Nicht nur die einzelnen Figuren wirken stellenweise geradezu wie Karikaturen ihrer selbst, auch die in Licht und Farben durchchoreographierte Inszenierung Gyeongseongs scheint immer wieder mal einer unwirklichen Märchenwelt entsprungen. Während das Pfandhaus in allen Farben schillert, wird das japanische Forschungslabor als düsteres Verlies unter dem Militärgefängnis stilisiert. Und dann sind da einerseits die  Moonlight Bar und andererseits das Anwesen des Polizeichefs - jeweils Schaltzentralen mit gewisser (politischer) Tragweite. Dies alles wird in handverlesenen Szenenbildern und Einstellungen immer wieder imposant ästhetisiert. Mal kann man/frau sich wie im Theater fühlen und dann wieder wie in den hochauflösenden digitalen Welten eines Computerspiels. 

 

Ist das KDrama also sehenswert? "Gyeongseong Creature" nimmt sich in Hinblick auf seine historischen Zeitthemen einerseits sehr ernst, andererseits in der klischeehaften Überzeichnung der einzelnen Figuren scheinbar auch wieder nicht. Diese für "Gyeongseong Creature" gewählte KDrama-Mischung ist, wie ich finde, recht gewagt. Dies meine ich jedoch durchaus wohlwollend positiv, im Sinne von ´experimentierfreudig´. Es handelt sich dabei zunächst um eine gewöhnungsbedürftige Rezeptur - eine, an die man/frau sich schnell jedoch gewöhnen kann. Und sie hinterlässt ihre Wirkung. Durch die pikant plakative Inszenierung wird der (ich nenne es mal) ´banale´ Unterhaltungsanteil - die Mission Impossible angesichts des zahlenmäßig weit überlegenen japanischen Militärs und der Monsterkreation - wirkungsvoll mit erschütternder historischer Realität verflochten. Deren Leid hallt im Land bis heute nach. Das KDrama wirft während des actiongeschwängerten und bildgewaltigen Ritts durch die zehn Folgen unter den Zuschauer*innen im Vorbeigehen subtil seine Widerhaken der Erinnerung aus.

 

"Gyeongseong Creature" bietet in der einen Hand cineastisch solide Unterhaltung mit Starbesetzung, fordert jedoch zugleich mit der anderen anhand der unterschiedlichen persönlichen Hintergründe der Haupt- und Nebenfiguren eine emotionale Auseinandersetzung damit, wie Japaner*innen (in dem Fall) mit Koreaner*innen damals umgegangen sind. Indem "Gyeongseong Creature" außerdem die Ausprägung der monströsen Experimente und Forschungen der Einheit 731 in Form eines konkreten Monsters mit Superkräften stilisiert, holt das KDrama damit das unbefriedigend aufgearbeitete Kriegsverbrechen sinnbildlich in unübersehbarer Monstrosität aus den verstaubten Geschichtsregalen.

 

Eine zweite Staffel ist bereits angekündigt.

Die Geschichte wird offenbar in der Gegenwart weitererzählt. Wir werden sehen...

 

 

 

 

Randnotiz: Einheit 731 der Kwantung-Armee der Kaiserlich Japanischen Armee

In Harbin, der größten Stadt des Marionettenstaates Mandschukuo in der nördlichen Mandschurei war ab 1932 die Einheit 731 der Kwantung-Armee der Kaiserlich Japanischen Armee unter Leitung von Ishii Shirō stationiert. Rund 3.000 meist Bakteriolog*innen führten dort Experimente an lebenden Menschen durch. Unter den dort eingekerkerten und gequälten Versuchspersonen waren überwiegend koreanische und chinesische Zivilist*innen sowie sowjetische Kriegsgefangene. Später kamen auch amerikanische Kriegsgefangene dazu.

Die Einheit 731 der Kwantung-Armee der Kaiserlich Japanischen Armee war als „Hauptabteilung der Abteilung für Epidemieprävention und Wasserversorgung“ getarnt.  Tatsächlich hat die Einheit 731 in Harbin grausamste Experimente am lebenden Menschen zu verantworten. Später wurden auch Feldforschungen unter Einsatz der in Harbin entwickelten biologischen Waffen durchgeführt. Die Opfer allein aufgrund dieser Forschungen waren meist Zivilist*innen - mehrere Zehntausend kamen da im Laufe der Kriegsjahre zusammen. 

Die Hauptverantwortlichen dieser Kriegsverbrechen der Einheit 731, die dabei die volle Unterstützung der späteren japanischen Premierminister und der japanischen kaiserlichen Familie hatten, blieben übrigens im Tausch gegen die Forschungsergebnisse, die sie den USA übergaben, straffrei...

(Einen Ableger der Einheit 731 hat es im fiktiven Onseong Krankenhaus in Geyeongseong so nicht gegeben. Das ist dichterische Freiheit.) 

 

 

Randnotiz: Das japanische Militärkrankenhaus von Gyeongseong

Das hauptsächliche KDrama-Setting ist das mit reichlich buntem Look&Feel inszenierte Seoul, bzw. Gyeongsong. Dabei rückt die Architektur des ehemaligen Verteidigungssicherheits-Kommandozentrums der Republik in den Mittelpunkt. Auf dem Areal zwischen Palast und Altstadt Bukcho war 1928 von den Japanern ein Militärkrankenhaus errichtet worden. Das Onseong Krankenhaus aus "Gyeongseong Creature" ist zwar fiktiv, doch die Architektur, die dafür in den Mittelpunkt der Ereignisse rückt, war zunächst tatsächlich ein japanisches Militärkrankenhaus bevor es später Teil des Verteidigungssicherheits-Kommandozentrums der Republik wurde.

 

Jenes Areal war bis vor circa zwei Jahrzehnten ein für die Öffentlichkeit verschlossenen Stadtgebiet mit bösen Erinnerungen für das Volk - nicht nur an das Treiben der Kolonialherren, sondern auch an das eigene Militär, das hier in den 1970er Jahren gegen das Volk putschte. Hier wurden dann auch (durch die Sicherheitsbeamten des diktatorischen Regimes Südkoreas) Landsleute gefoltert und misshandelt. Menschenrechte waren hier bis vor kurzem ein ungekanntes Konzept. Man hätte das Ensemble abreißen können, doch das Volk hat sich entschieden, das Gebäude als Mahnmal zu erhalten. Der historische Zeitzeuge ist heute Teil des Nationalen Museums für Moderne und zeitgenössische Kunst. Der blutigen Vergangenheit wird hier inzwischen mit der Phantasie und emotionalen Wucht moderner Kunst etwas Positives entgegengesetzt.

 

In "Gyeongsong Creature" erwacht die düstere Vergangenheit dieses Militärareals, die mit der japanischen Kolonialherrschaft beginnt und später durch südkoreanische Regierungsbeamte fortgeführt wurde, noch einmal in HD künstlerisch frei inszeniert zum Leben.

경성크리처 - Gyeongseongkeuricheo

Lit.: Gyeongseong Creature (anglizistisch)

 

2023, 7 + 3 Episoden

 

Hauptdarsteller*innen:

-Park Seo-joon 
-Han So-hee 
-Soo Hyun
-Kim Hae-sook 
-Jo Han-chul 
-Wi Ha-joon
-Park Ji-hwan
-Ok Ja-yeon
-Ahn Ji-ho 

 

Plot:
Im Frühjahr 1945 wird Genrealleutnant Kato von Harbin nach Gyeongseong versetzt und kann dort seine angefangenen Experimente an den Inhaftierten des Sodaemun Gefängnisses fortführen. Diese werden dafür eigens auf das Areal des japanischen Militärstützpunktes verlegt, auf dem sich auch das Militärkrankenhaus Onseong befindet

 

Gyeongseong ist in jenen Tagen das Parkett, auf dem Jang Tae-sang sich in geschmeidiger Eleganz zu bewegen weiß. Er betreibt das örtliche Pfandhaus, ist dadurch äußerst vermögend und zudem hervorragend vernetzt. Aus diesem Grund setzt ihn der Chef der japanischen Polizei gegen seinen Willen darauf an, dessen verschollene Kurtisane zu finden. Gegen seinen Willen heften sich außerdem zwei Detektiv*innen an seine Versen, die sich in den vergangen Jahren darauf spezialisiert haben, vermisste Personen aufzuspüren. Zu viele Menschen verschwinden immer wieder unbemerkt - als Soldaten an die Front des Pazifikkriegs, als Sexsklavinnen zum Trost der Frontsoldaten, als störende oder verdächtige Person in ein Gefängnis, oder auch ganz aus dem Leben.

 

Die letzte Ermittlung von Han So-hee gemeinsam mit ihrem Vater betrifft ihre eigene Mutter, von der sie nach einem Jahrzehnt überraschend eine Spur gefunden hat. Die führt sie nach Gyeongseong. Im eher unfreiwilligen Team mit Jang Tae-sang gelingt es ihnen, in das massiv bewachte Onseong Krankenhaus einzudringen. Was sie dort entdecken, hat die Menschheit bislang jedoch noch nicht gesehen...

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