Unterwegs im Koreanischen
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KDrama nach Themen: Von der Macht der Mächtigen

Eve

Das Rachemotiv, so könnte man/frau meinen, hat das KDrama für sich gepachtet. Die TV-Produktionen sind voll davon. Erstaunlich, dass dieses so oft strapazierte und dennoch ewig junge Thema dabei auch immer wieder packend neu inszeniert werden kann. "Eve" aus dem Jahr 2022 bietet dazu ebenfalls eine äußerst sehenswerte, eigenwillige Variante mit unverwechselbarem Anstrich.

 

 

Randnotiz: Rachemotiv und KDrama - einmal selbst die elitäre ´Autoritäten´ kontrollieren wollen, die ansonsten den Rest des Landes kontrollieren

Südkorea gehört wohl zu den Orten dieser Erde, an denen (vielleicht mehr als an manch anderem Ort, wo der Rechtsstaat bereits etwas solider Fuß gefasst hat) Regeln nur für die ´einfachen´ Menschen, die Masse, gelten. Die einflussreichen Jaebeol nämlich spielen ihr privates, eigenes, elitäres Spiel. Sie leben abgehoben vom Rest der Gesellschaft. Ihnen gehört die Welt. Sie leben und herrschen wie es ihnen gefällt in ihrem eigenen Orbit. Wenn ihre Welt mal mit der anderen kollidiert, dann ist das zwar lästig, aber selten schlimm. Sie räumen störende Faktoren einfach aus dem Weg (oder besser: lassen räumen). Sie können sich dann im Zweifelsfall schon mal einen Freispruch erkaufen, indem sie Beweise fälschen, verschwinden lassen, die Richter oder Anwälte austauschen, und/oder einen ´anderen´ geständigen Täter zu Tage fördern. Sie genießen selbst alle Freiheiten. Die anderen haben eigentlich keinen Wert.

 

Für objektive Gerechtigkeit sorgt (abgesehen von einer göttlichen Instanz, sofern eine/r daran glauben mag) eigentlich der Staat. Aber ´Staat´ setzt sich aus Menschen zusammen. Und je weniger verbindlich die objektiven Regeln von diesen Subjekten gehandhabt werden oder je mehr sie sich zu Gunsten der ´Täter´ aus elitären Kreisen biegen, dehnen und interpretieren lassen, desto größer die subjektive Unzufriedenheit und desto stärker das Verlangen der ´Opfer´ nach Selbstjustiz - der Wunsch nach Rache!

 

Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen dem Verlangen nach Rache/subjektiver Gerechtigkeit und den realistischen Möglichkeiten, dies tatsächlich auch zu erreichen. Für die einflussreichen Mächtigen mögen ein paar Anrufe genügen. Das gemeine Volk muss da schon etwas subtiler und raffinierter vorgehen. Selbstjustiz will gut geplant sein. Insbesondere, wenn man/frau sich an einer Person aus dem Orbit der Jaebeol rächen will. Das kostet schon mal Zeit und auch Geld, um überhaupt in deren Welt eindringen zu können. Meist sind dabei auch verschworene Helfer*innen notwendig. Schließlich ist damit zu rechnen, dass auch hier gilt: ein Plan ist dazu da, verworfen zu werden... Es lässt sich nicht alles vorhersehen. Details müssen improvisiert werden. Der Raum für das Unerwartete lässt sich nur mit ziemlicher Unschärfe kalkulieren. 

Drama und Rachemotiv gehen somit vor dem Hintergrund der südkoreanischen Gesellschaftsstrukturen häufig und gerne eine dramaturgisch vielversprechende Verbindung ein.

 

 

"Eve" erzählt genau davon. Einem von langer Hand geplanten Rachefeldzug gegen einen der mächtigsten Jaebeol-Clans des Landes. "Eve" mag sich in eine lange Liste von KDramen im Rache-Genre einreihen. Dabei punktet diese KDrama jedoch durch seine ureigene charismatische Aura.

 

Perfektion soll hier durch Perfektion zu Fall gebracht, maximal Kontrolle durch maximale Kontrolle bezwungen werden. Will man das Leben in Perfektion kontrollieren, entweicht ihm das Leben. Was bleibt ist eine leblose, lieblose Hülle. Der Preis der Macht besteht darin, das eigene Menschsein zu überwinden (Die kleine Jaebeol Tochter im Vorschulalter fechtet den emotionalen Preis der Macht anschaulich aus: sie lernt zwar bereits Golf spielen, doch sie macht immer noch in die Hose...) Den Gewinn leben ihre Eltern und Großeltern vor: sich wie eine kleine Gottheit fühlen und gebärden... Die Perfektion der Überheblichkeit findet ihren unmittelbaren Ausdruck in der Kontrolle, dem gewissenlosen Missbrauch und der brutalen Unterdrückung der anderen. Sie geht einher mit Selbstkontrolle. Das Ausmaß der Inszenierung der eigenen ´Schönheit´ wird dabei geradezu abstoßend und verkehrt ´Schönsein´ ins Gegenteil.

 

Das (dramaturgisch gewählte) Ventil, das den Menschen in seinem irdisch vergänglichen Köper erdet, ist der Tanz. Hier ganz speziell der Tango. Exotisch, erotisch, schwer, tief, düster. Der Tanz, der Rhythmus und die Musik holen eine/n in den eigenen Körper zurück. Man/frau muss darauf hören - im Tango obendrein auch auf den Körper der anderen Person, um sich auf diese/n Partner*in einzulassen. Hier geht es also auch um Perfektion, doch die besteht darin, die eigenen Körperbewegungen mit der persönlichen Authentizität, den Gefühlen, dem Empfinden perfekt auszubalancieren. Diese Perfektion schöpft aus sich selbst und geht nicht auf Kosten anderer. Sie mündet in einen Zustand, in dem Kontrolle aufgegeben wird - einen veränderten Bewusstseinszustand. Dieser Zustand dauert nur für den Moment des Tanzes, für den Augenblick der Begegnung. (Der andalusische Flamenco prägte dafür sogar einen eigenen Begriff: ´Duende´. Damit ist ein geradezu ekstatischer Bewusstseinszustand gemeint, der sich aus dem Fallenlassen in (bzw. der Hingabe an) das Zusammenspiel verschiedener Hirnareale, physischer Tanztechnik und Emotion ergibt.)

 

Die rachehungrige Protagonist*in (eine fantastische So Yae-ji) hält über die einzelnen Episoden hinweg eine extrem hohe Spannung zwischen den Polen möglichst maximaler emotionaler Selbstkontrolle (im Dienste des ausgeklügelten Racheplans) einerseits und vollkommener Hingabe an die sinnlichen, belebenden Bewegungen des Tangotanzes andererseits. Dabei schöpft der Tanz seine Kraft und Ausstrahlung aus der Tiefe der subjektiven, authentischen Gefühlswelt. Diese Spannung zu halten ist schier unmöglich. Und von dieser sehr speziellen Dynamik (des schier Unmöglichen) lebt das KDrama. Das Ergebnis ist eine durchgängig hohe und packende Intensität.

 

Ich habe einige Kritiken gelesen, die diesem KDrama die Chemie der Protagonist*innen oder das Ende bzw. die Auflösung des Rachemotivs, oder gar das Rachemotiv überhaupt vorwerfen. Nun, das ist natürlich auch Geschmacksache. Ich jedenfalls finde, das Rachemotiv passt zur südkoreanischen autoritären Gesellschaft. Immer noch. Auch heute. Ich finde ebenfalls, dass die Figur des Kang Yoon Gyeom stimmig gezeichnet (und gespielt) ist - wäre der Protagonist von seiner Art her berührbarer, offener, greifbarer (und wegen mir attraktiver), dann wäre die Beziehungsdynamik vorhersehbarer. Seine gerade auch abstoßenden, berechnenden Seiten passen zu ihm. Auch gerade die Tatsache, dass er das Image des klassischen männlichen Love-Interest nicht so richtig bedienen mag, passt perfekt zur Rolle. Die sehr feinen Nuancen, die seine andere (berührbare, bedürftige) Seite offenbaren, ebenfalls. So entwickelt die Beziehung mit ihm subtil, ungewollt und unerwartet ihre eigene Dynamik. Die Ambivalenz - anziehend vs. abstoßend - kommt meiner Meinung nach gut rüber. Eine eigenwillige chemische Mischung, eine Unbekannte in der Gleichung des Racheplans. Die hieraus ausgelösten Reaktionen führen wiederum zu einem Ende, das ist wie es ist. So oder so, wirklich ´zufrieden´ macht Rache NIE. Denn der Schmerz der alten Wunden und die Erinnerung geht davon nie weg und der Verlust wird dadurch nicht umgekehrt. Es wird jedoch garantiert noch Karma draufgesattelt, das eine selbst auch wieder auslöffeln muss... (Das wird meist übersehen, wenn eine loszieht, sich zu rächen...)

 

Erwähnenswert wäre vielleicht noch: 

Außergewöhnlich sind bei diesem KDrama die Inszenierung der Grausamkeit innerhalb der Jaebeol-Welt sowie der Raum, den sich die sexuelle Dimension der Beziehung hier nehmen darf. Diese eher animalischen oder auch archaischen Aspekte der menschlichen Spezies, die dem evolutionsgeschichtlich älteren Hirnstamm (oder Reptilienhirn) zugeordnet sind, setzen damit jedoch einen scharfen Kontrast zur verlogen hehren, übermenschlichen Selbstinszenierung der Jaebeol-Elite...

 

Ein eindringliches KDrama, dass man/frau nicht so schnell vergisst...

이브- Ibeu

Lit.: Eve (anglistisch)


2022, 16 Episoden

 

Hauptdarsteller*innen:

-Seo Yea-ji
-Park Byung-eun
-Yoo Sun
-Lee Sang-yeob

 

Plot:
Lee La-el wurde mit 13 Jahren Zeugin des brutalen Mordes an ihrem Vater. Seine Erfindung wurde gestohlen, ihre Familie zerstört, und ihre Psyche durch jenes traumatische Erlebnis erschüttert. Sie bekommt die Chance, in den USA neu anzufangen. Nach 15 Jahren kehrt sie zurück, mit einem Racheplan und den nötigen Mitteln, diesen umzusetzen.

 

Sie macht sich an den verheirateten 41jährigen Erben der LY Group heran, freundet sich parallel mit seiner Frau an und ebnet den Weg für eine Freundschaft zwischen ihrer Tochter und der Tochter der Jaebeol-Familie. Damit sticht sie berechnend in ein Hornissennest, während im Hintergrund die Vorbereitungen für einen Rechtsstreit laufen, mit dem die ungerechtfertigten Machenschaften der Firmenübernahmen und Patentdiebstähle juristisch offengelegt werden sollen. Ziel ist es, die Täter finanziell zu ruinieren, sowie ihnen in nachdrücklicher Weise Schmerz zuzuführen. Damit hat sie sich jedoch mit den Mächtigsten des Landes angelegt...

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