Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

Südkorea im KDrama

Alleinstellungsmerkmal KDrama

KDrama Virus

Die Koreanische Welle ging von den K-Dramen aus. Wer von der Welle erfasst wird, kommt schwerlich von ihr los. Wie kommt das? Ich musste mich das fragen, denn mir ging es ja genauso. Immer wieder kann man Anekdoten - ähnlich wie meine - lesen: jemand stolpert durch Zufall über ein KDrama ... und bleibt dabei. Fast schon wie ein Virus, wenn das Immunsystem die Wirkung nicht verhindert, ist es durchaus ansteckend und der Verlauf bei den Betroffenen ähnlich. Und so geschieht es, dass die Welle sich durch erzählen und berichten immer weiter ausbreitet. Also gilt auch auf diesen Seiten: Vorsicht, Ansteckungsgefahr!

 

Aber keine Angst. Es trifft nicht alle und nicht einfach so. Kulturelle Überformungen dienen hier schon mal als gesunder Schutz. Und wer sich auf das Koreanische nicht einlassen will, ist automatisch immun. So hilft es manchen, dass sie das KDrama schlicht als zu sentimental, zu prüde, zu emotional, zu brutal und zu fremd im Umgang sozialen Miteinanders erleben. Eine schrille, überdrehte Synchronisation rundet das Ganze dann ab und das Thema KDrama ist schnell vom Tisch. 

 

Auch ich war stellenweise etwas befremdet, denn in gewisser Weise wurde ich immer wieder mal an die westliche Filmindustrie der 1950er Jahre erinnert. Die meist fast schon prüde Züchtigkeit, oftmals unerträgliche Moral und reichlich heile Welt Motive wirkten irgendwie befremdlich. Das hatte ich doch alles hinter mir gelassen, mich freigeschwommen, oder nicht? Zugleich ging es jedoch auch darüber hinaus und ließ mich TROTZDEM immer weiter dran bleiben. Warum nur? Es gibt einige charakteristische Elemente in der Rezeptur eines KDrama. Dies erzeugt eine magnetische Mischung, deren eigenartiger Effekt möglicherweise darin liegt, dass sie zugleich anziehend und abstoßend wirkt. 

Rezeptur

Als im KDrama auffällig und für die westlich geprägte Zuschauer*in zunächst befremdlich könnte man vereinfacht auflisten:

 

  • immer hübsch
  • immer chic
  • immer prüde
  • immer tugendhaft
  • immer Familie über alles 
  • immer Tränendrüse 
  • immer Schlagen und Treten (v.a. Eltern ihre Kinder, Chefs ihre Mitarbeiter)
  • immer Achterbahn der Gefühle - Feind wird Freund und zurück
  • immer emotionale statt erotische Nähe
  • immer Tränen - auch bei Männern
  • meistens die Liebe des Lebens
  • meistens Korruption
  • meistens Waisenhaus
  • meistens Huckepack (eine Person trägt eine andere auf ihrem Rücken)
  • stellenweise etwas überdreht

Wie kann das eine Welle auslösen, die über Asien bis ins sachlich distanzierte, analytische Deutschland schwappt, wo rühren wollende Szenen schnell als schnulzig abgewinkt werden? Es ist erstaunlich. Aber dann wiederum ist das KDrama meist recht gut gemacht und wird durch die Schauspieler oftmals hervorragend mit Leben gefüllt.

 

Was heißt gut gemacht?

Die Voraussetzung, ein KDrama ´genießen´ zu können, ist eine manchmal enorme Leidensfähigkeit. Man muss mit den Protagonist*innen mitleiden, mitgehen, mitfühlen, sonst ist es wahrscheinlich nicht auszuhalten. Das KDrama will berühren und bewegen. Es gibt stets viel Raum, die tieferen emotionalen Schichten der Protagonist*innen auszuloten. Die Herangehensweise ist dabei jedoch nicht analytisch sachlich, sondern stattdessen wird stets mit einem feinen Gespür für leise Zwischentöne operiert und sondiert. Das muss man mögen. Darauf muss frau sich einlassen. Da ist das Tempo schon mal gedrosselt, ganz optisch zum Beispiel durch Szenen in Zeitlupe oder Erinnerungen in Form einer (oft wiederholten) Rückschau schon gesehener Szenen. Da wird die Lupe und der Spot und noch ein Strahler benutzt, um drauf zuhalten: Schau hin! Spür nach! DAS kann das KDrama wirklich gut. 

 

Mit menschlichen Schlüsselemotionen und ihren Schattierungen mitfühlen:
die Idee der griechischen Tragödie auf Koreanisch 

Zugleich liegt darin jedoch auch die größte Kraft des KDramas. Es berührt kulturübergreifend etwas Urmenschliches. Im KDrama wird die Klaviatur menschlicher Schlüsselemotionen hoch und runter gespielt. Man/frau begegnet Liebe, Hass und Gier in all ihren Spielarten und Kompositionen. Mal geht es um ein unstillbares Verlangen nach Geld, mal nach Macht, mal nach Erfolg, mal nach Liebe, mal nach Anerkennung, mal nach Wissen und Information... Hass und Rachegelüste sowie die Frage nach ihrer Legitimität und Moral, sind unweigerlich im Fahrwasser. Das Schicksalsrad wird angeworfen und dreht sich unaufhaltsam. Diese Schlüsselemotionen wirken als Motor für die Dynamik menschlicher Beziehungen, egal vor welchem kulturellen Hintergrund. So auch im Koreanischen. Das wäre nicht spezifisch. Spezifisch hingegen ist die Perfektion, mit der diese Schlüsselemotionen durchexerziert werden und dabei im Zuschauer*innen etwas anrühren wollen: das Mitfühlen-Können. Das hat das KDrama nicht erfunden, aber das kann es eben besonders gut - vielleicht auch gerade weil es mal etwas übertrieben und überdreht daherkommt.

 

Nachvollziehbar wäre diese These in Anlehnung an die Katharsis im Zusammenhang mit der griechischen Tragödie. Vielleicht ergibt sich der Suchtfaktor eines KDramas aus seiner reinigenden, möglicherweise emotional befreienden Wirkung. Indem die Figuren im Plot stellvertretend, fiktiv und dramaturgisch überzogen die menschlichen Schlüsselemotionen hoch und runter spielen, können die Zuschauer*innen durch mentales und emotionales Mitgehen ihre eigenen inneren Konflikte und Emotionen im KDrama kanalisieren, projizieren und indirekt ausleben.

Täter und Opfer sind keine festen Größen

In diesem Zusammenhang gibt es noch einen weiteren -wie ich finde- wichtigen Faktor mit nachhaltiger Wirkung: Täter und Opfer sind relativ. Schwarz und weiß wandelt sich schon mal im Laufe einer Serie um 180°. Größte Feinde werden Verbündete und Freunde (und vice versa), tugendhafte Held*innen knicken an einer Stelle ein oder offenbaren ungeahnte Schwächen, der schlimmste Bösewicht wird an Punkten liebenswert. Nichts ist fix, alles in Fluss, im Prozess. Sympathien sind vielleicht über die Schauspieler*innen gegeben, aber nicht unbedingt durch die Rollen. Da gibt es innerhalb einer Figur enorme Entwicklungen und Dynamiken - wie im Leben... und zwischen weiß und schwarz findet man alle Schattierungen. Das macht das Mitfühlen leichter, da die Figuren menschlich werden. Das macht das Mitfühlen aber auch schwerer... denn manchmal muss man etwas vergeben, sich mit etwas aussöhnen, obwohl man/frau lieber nicht wollen würde. Die Stories machen vor, wie es gehen kann.

 

Emotionale Interaktion auch der Zuschauer*innen gefordert

Selten wird man ein KDrama still und selig ´genießen´. ´Genuss´ ist nicht so richtig der passende Begriff für ein KDrama... Es ist schon auch emotionale ´Arbeit´, denn die persönliche Auseinandersetzung mit den Figuren und ihren Prozessen wird systematisch getriggert. Die Zuschauer*innen wollen sich austauschen, was in ihnen vorgeht, und tun das auch. Damit springt das KDrama heraus aus dem Bildschirm und hinein in die persönliche Lebenswelt (aus der es sich ja einst aufgemacht hatte, auf dem Bildschirm inszeniert zu werden...). Will sich jemand heimlich davon machen, sich auf Themen und Leidensprozesse der Protagonist*innen nicht einlassen, dann holen eine/n spätestens die eigenen Peers/das Soziale Netzwerk zurück, wo man unweigerlich in Diskussionen gerät. Man/frau kommt nicht aus: Das KDrama fordert eine eigene Position. Und die kann aufgrund der Dramaturgie des KDramas jedoch nie eindimensional sein. Sie muss sich im Verlauf ausdifferenzieren. Und das finde ich beachtlich. Das ist vielleicht eine der größten Leistungen, was den Beitrag des KDramas zu Bewusstseinsförderung angeht. Es gibt natürlich viele internationale Arthouse und Independent Filme/Serienproduktionen, die diesbezüglich auch besonders ambitioniert sind. Doch diese erreichen kaum eine so breite Masse wie das KDrama.

 

Peergroup mit spezifischem Charme bringt Schattierung und zusätzliche Dynamik

Dabei folgt man nicht nur den Hauptakteur*innen. Immer gibt es eine Gruppe/Peers, die eine unterstützende Funktion haben. Sie tragen erheblich zum Lokalkolorit bei, sie helfen jedoch auch, die Prozesse auszudifferenzieren, Schattierungen hereinzubringen, Dynamik, Humor und meist auch mit spezifischem Charme die Geschichte zu beleben.

 

Kompakt, in sich geschlossen und meist stimmig rund erzählt

Einer Serie umfasst in der Regel 16 oder 20 Folgen. Manchmal sind auch 24, mal auch bis über 30 und sogar 50 oder auch nur 11. Jedenfalls ist der Plot in sich abgeschlossen und rund. Dazwischen jedoch fährt man Achterbahn. Es geht immer noch doller - da kann man sich sicher sein. Und (un)vorhersehbare Wendungen gehen immer. Die familiären koreanischen Traditionen und Wertesysteme sowie die koreanische Geschichte bieten dafür das perfekte Szenario. Man/frau begegnet im Orbit der KDramen vertauschten Babys, Verwandtschaft wo keine sein soll, Verrat, Geheimnis, Lüge, Rache - die Ursachen oder Auslöser unzähliger dramatischer Schicksalswendungen sind noch lange nicht zu Ende durchdekliniert. Es ist immer was los. Meist sind diese Schicksalswendungen und -schläge gefühlvoll und mit Liebe zum Detail in Szene gesetzt. Mit Raum für Ausdruck, Feinheiten und Nebensächlichkeiten, die wirkungsvollen Nachdruck verleihen. Mit stilvoller Ausstattung und handverlesenem Soundtrack. Gerne fährt man daher im Karussell der Gefühle auch gleich wieder rückwärts - und lässt sich aufs Neue auf eine fiktive Geschichte und Lebenswelt ein. 

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