Unterwegs im Koreanischen
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KDrama nach Themen: Mehr Drama geht immer

Red Balloon

Man/frau könnte meinen, "Red Balloon" ist wieder mal eine von jenen Geschichten, die es in verschiedenen Aufgüssen im KDrama immer wieder gibt. Verhedderte Schicksalsbande, die sich unaufhaltsam weiter verheddern. Man/frau könnte meinen, Makjang mal wieder. Familiendrama mal wieder. Verbotene Liebe mal wieder. Muss man/frau es also gesehen haben? Müssen muss nicht. Aber seltsamer Weise: Wollen schon. Die Figuren in all ihrer manchmal fast schon verstörenden Zwiespältigkeit ziehen und zerren in ihren Bann. Subtil, unbeeindruckt davon, ob wir nun zuschauen oder nicht, bemüht, in ihren dysfunktionalen Beziehungen und Familien zu bestehen... und dann eben doch auch weit mehr wollen, als nur bestehen...

 

"Red Balloon" kommt Ende 2022 als das brandheiße Zeitdokument einer komplizierten Zerreißprobe für die südkoreanischen Gesellschaft ins Fernsehen. Einerseits gilt die (Mehrgenerationen-)Familie als höchster Wert in der Gesellschaft. Andererseits hat die Scheidungsrate innerhalb der letzten Jahrzehnte weltweit eine Spitzenposition eingenommen. Scheidung gilt immer noch als Schande - als etwas, das (wenn überhaupt) nur andere tun. Dennoch wählen immer mehr Südkoreaner*innen diesen Weg, selbst die ´Alten´ (die über 60 und sogar über 70 Jährigen) entscheiden sich zunehmend für Scheidung. Das KDrama stellt dabei die verhärteten soziokulturellen Fronten in einer fiktiven Geschichte einander gegenüber, die beiden Seiten gleichermaßen Gehör schenkt, Raum gibt, sich aneinander reiben lässt - mal lautstark, mal handgreiflich auch - und dabei um Lösungen ringt. 

 

Die Ereignisse und die emotionalen Zerreißproben spitzen sich immer weiter zu. Gewürzt mit sich sukzessive steigender Makjang-Spannkraft, mit dynamischen, ausdifferenzierten Persönlichkeitsporträts, sowie ergreifenden, exzellenten Plädoyers (mal für die eine, mal für die andere und mal für noch einer andere Position) schraubt sich das KDrama immer tiefer in die erhitzten Gemüter der Zuschaue*innen. "Red Balloon" gelingt es vorzüglich, seine oftmals kopfschüttelnden Zuschauer*innen in wahrlich unwegsames, umstrittenes soziokulturelles Terrain mitzunehmen, und mit der geballten konfrontativen dramaturgischen Ladung an emotionaler Ambivalenz vorzuleben, was möglich wäre/sein könnte/ist/sein will/nicht sein darf/und doch nicht anders kann.

Prädikat "wertvoll".

 

Es gibt mehrere Storylines, die mit ihren musikalischen Leitmotiven herzhaft ineinander verschränkt und verflochten sind. Doch alle handeln vom selben Thema: die kritische Fine-Line zwischen einem zufriedenen Leben, wie man/frau das so lebt/ zu leben hat / vorgibt zu leben, und einem unzufriedenen Leben, in dem man/frau sich täglich aufs neue verrät und es gar nicht mehr bemerkt, weil eigentlich alle das tun und es das Selbstverständlichste auf der Welt zu sein scheint... Kritisch wird es, sobald man/frau erkennt und nicht mehr ignorieren kann, dass dieses vermeintlich zufriedene Leben tatsächlich ein ´unzufriedenes´ ist. Die subtile psychische Spannung des KDramas entpuppt sich im Widerstreit dieser Gefühle, der in fast allen Protagonist*innen mehr oder weniger stark tobt, und entlädt sich im Versuch eines Ausbruchs: Etwas Neues wagen. Den eigenen Traum träumen. Einen Versuch darin wagen, aufrichtig sich selbst gegenüber zu sein, was die eigenen Gefühle angeht. Aber wehe, wehe, auch aufrichtig gegenüber der Umwelt sein? Erwartungen anderer enttäuschen? Pflichten und Verantwortung versäumen? Was bedeutet es, wahrhaft aufrecht zu gehen?

 

"Red Balloon" ist eine Gesellschaftsstudie am Beispiel des Mikrokosmos dreier Familien, die unter anderem über die (nicht ganz auf Augenhöhe ausbalancierten) Kindheitsfreundschaft zweier Protagonistinnen verbunden sind. Man/frau könnte vielleicht meinen, dass Ehebruch im Mittelpunkt des KDramas steht. Der Gedanke drängt sich durchaus auf. Doch ich würde im Fall von "Red Balloon" einen anderen thematischen Schwerpunkt sehen: Kollektivismus im Widerstreit mit zunehmend aufkeimendem Individualismus. Es geht vor diesem Hintergrund vielmehr um die ´Kunst´, ein/e Egoist*in zu sein. (Siehe Randnotiz weiter unten). In einer so kollektivistisch geprägten Gesellschaft, wie Südkorea es ist, hat ´Egoismus´ (=für die individuellen Bedürfnis auch gegenüber sozialem Druck einstehen) bislang keine Qualität an sich. Im Gegenteil. Die Entwicklung eines solch eigenständigen und sozial anerkannten Werts steckt dort absolut in den Kinderschuhen. Dementsprechend verunsichert sind die Protagonist*innen und kommen schon mal ins Straucheln, zweifeln an sich, suchen die Kehrtwende und besinnen sich auf die alten Werte... (und diese beinhalten, das zu tun, was andere, ältere, finanziell besser situierte Mitmenschen sagen, wollen, fordern, sowie sich von ihnen zeitweise auch klein machen zu lassen. Ein Leben mit Aufopferung, in Erniedrigung und voller Scham ist ganz normal und dementsprechend ist ja auch nichts daran auszusetzen, oder?)

 

Schamloser Ehebruch wäre eine Seite der Medaille. Die andere: die weitverbreitete, lange ignorierte persönliche Unzufriedenheit, die jedoch der Gruppe/Familie zuliebe viel zu lange schon zurückgestellt und ignoriert wurde. Die Macher*innen zeichnen hier einprägsame Portraits von Menschen unterschiedlichen Alters, die so ihre Macken haben, wie das im Leben eben ist. Doch anstatt sich (wie üblich) an dem zu orientieren, worauf die anderen schauen und Wert legen, stolpern sich einige frei von den Erwartungen ihrer Umwelt und der Gesellschaft - oder versuchen es zumindest. Sie wollen, wählen und verwirklichen ihre eigenen Wünsche...  ringend, taumelnd, fallend im Angesicht des kalten Gegenwindes, der ihnen dabei reichlich ins Gesicht bläst. Ausbrechen-Wollen aus dem engen Korsett der Erwartungen und Verpflichtungen, allein schon einen Gedanken in diese Richtung zu wagen, ist geradezu schamlos und verachtenswert...   Sympathie für familiäre Kämpfe, Opfer, Entbehrung und Leid hingegen ist weit verbreitet, denn dieser individuelle Schmerz ergibt sich aus der Selbstaufgabe für die ´Gruppe´ und ist in diesem Fall geradezu tugendhaft. Der KDrama-Orbit erzählt davon schon seit den frühesten TV-Produktionen unzählige Geschichten. Sympathie für ´individuellen´ Schmerz, für ein Leiden an der Gruppe, ihrem Druck und ihren Forderungen hingegen ist kaum zu finden. Mit dem neu gefundenen Egoismus steht man/frau also eher alleine da... Bislang. Nun nicht mehr. Hier kommt "Red Balloon" ins Spiel.

 

Die Story trifft mit ihrer knifflig kontroversen Thematik ins Schwarze vieler Gemüter im Land. Die Zuschauerzahlen von "Red Balloon" haben sich nach der Hälfte der 20 Episoden bereits verdoppelt und letztlich sogar verdreifacht. Doch auch für die Zuschauer*innen jenseits der Landesgrenzen ist hier einiges an KDrama-Qualität geboten.

 

 

 

 

 

Randnotiz:

Lebenszufriedenheit in Südkorea auf einem Tiefpunkt

Die aktuellen Daten zur Lebensqualität, die das Statistische Amt der Republik 2022  veröffentlicht hat, platzieren Südkorea innerhalb der 38 OECD Länder auf Platz 36. (Nur in der Türkei und Kolumbien sind die Menschen unzufriedener.)

Was sich für so manche Zuschauer*innen (und Kinder einer der anderen 35 Mitgliedsstaaten) als überzogener Makjang anfühlt, ist ziemlich nah dran am Alltag für manch andere (Südkoreanische) Zuschauer*innen am heimatlichen TV...

 

 

 

Randnotiz:

Die Kunst, ein/e Egoist*in zu sein

1976 erschien das gleichnamige Buch (Die Kunst, ein Egoist zu sein) von Josef Kirschner.  Darin arbeitet der Autor den notwendigen, zwiespältigen psychologischen Prozess und das erforderliche Durchhaltevermögen heraus, die im Zusammenhang mit gegen das Interesse der Gemeinschaft/Gruppe/Familie ausgerichteten, individuellen (=egoistischen) Lebensentscheidungen eine zentrale Rolle spielen. Selbstliebe ist dabei ein entscheidender Schritt zu eigenverantwortlichem (vs. fremdbestimmtem) Verhalten. Diese auf Selbstliebe gründende Eigenverantwortung wiederum bildet zugleich die Grundlage für freie, mündige Bürger*innen. 

 

Egoismus und Gruppe stehen gemeinhin auf Kriegsfuß. Je mehr Unterwerfung die Familie/Gruppe/Gesellschaft von ihren Mitgliedern strukturell erwartet, desto weniger haben individuelle Bedürfnisse einen Raum und desto stärker sind sie schambesetzt und geächtet. Egoismus ist selbst in individualistisch geprägten Ländern Europas ein immer noch negativ besetzter Begriff... Mit dieser Problematik müssen sich nun auch die Protagonist*innen im kollektivistisch geprägten, stark hierarchisch strukturierten Südkorea 2022/23 herumschlagen. Dabei ist das Ringen um einen psychologisch gesunden Egoismus gemeint, der für das eigene Seelenheil eintritt - auch gegen den Druck der anderen. Die These, die dahinter steht: Erst aufrichtig mir selbst gegenüber und zufrieden bin ich wahrhaftig in der Lage, auch aufrichtig auf andere zuzugehen und zu geben, beziehungsweise zu Gemeinschaft und Seelenheil der anderen beizutragen. Nicht weil ich es muss, da es von mir erwartet wird. Sondern weil ich mich frei dafür entscheide und es will.

 

 

P.S.:

(Dieser an Selbstliebe und Eigenverantwortung geknüpfte ´Egoismus´ ist nicht zu verwechseln mit unersättlicher, rücksichtsloser Gier, die ja bekanntlich auch im Südkoreanischen kein Fremdwort ist. Die Serienwelt ist voll von gierigen Zeitgenoss*innen, denn das ist nun mal leider kulturübergreifend menschlich. Gier hat jedoch keine soziale Komponente, da fließt nichts in die Gruppe zurück.)

빨간풍선 - Ppalganpungseon

Lit.: Roter Ballon

 

2022, 20 Episoden

 

Hauptdarsteller*innen:

- Seo Ji-hye
- Lee Sung-jae
- Hong Soo-hyun
- Lee Sang-woo

 

Plot:

Jo Eun-gang hat es bis heute noch nicht geschafft, Lehrerin zu sein. Sie lebt mit ihrer jüngeren Schwester, ihrem Onkel und ihren Eltern zuhause, steht aber kurz vor der Heirat, zu der es dann allerdings doch nicht kommt. Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt mit einer Reihe von Teilzeitjobs, unter anderem als Mädchen für alles bei ihrer langjährigen Schulfreundin Han Ba-da, für die sie jedoch äußerst ambivalente Gefühle hegt.

 

Die ist ihrerseits Schmuck-Designerin und verheiratet mit Go Cha-won, dem langjährigen heimlichen Schwarm von Eun-gang, Hautarzt und folgsamer Sohn aus wohlhabendem Haus. In diese Familie wiederum hat Ji Nam-cheol vor 18 Jahren mehr oder weniger unfreiwillig eingeheiratet und leitet seitdem den Betrieb des geizigen, patriarchalen Familienoberhaupts. Mit seiner Frau und älteren Schwester von Cha-won hat er zwei Kinder. Als er im Betrieb Eun-gangs jüngere Schwester als Buchhalterin einstellt, kommt frischer Wind in seine eintönige Welt, und eh er sich versieht, steht diese Welt völlig Kopf. Er erkennt sich selbst nicht wieder.

 

Doch tatsächlich scheint plötzlich überall um ihn herum nichts mehr normal zu laufen: alle haben offenbar so ihre heimlichen Wünsche und suchen Wege, diesen dann doch vielleicht endlich Ausdruck zu verleihen... und lösen damit eine Explosion nach der anderen aus.

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