Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

Südkorea im KDrama

Traditionelle Werte und Aufbruchstimmung 

Starke Frauen, verletzliche Männer

Vielleicht sind starke Frauen nicht das erste, woran eine/r denken mag, wenn es um traditionelle Werte in Südkorea geht. Ich stelle diesen Gesichtspunkt jedoch bewusst an den Anfang dieses Kapitels, denn so sehr das KDrama brav immer wieder dem hohen Gut der sogenannten "konfuzianischen" Tugend huldigt, so schleicht es sich doch in aller Öffentlichkeit und zugleich auf leisen Sohlen unbemerkt heraus aus dem patriarchalen Wertesystem: die Protagonistinnen der Serien sind fast ausnahmelos stark und in dem, was sie tun, selbstbewusst und sicher. Zugegeben schöpfen sie ihre Kraft nicht selten aus ihrer Mutterrolle oder wollen als Tochter ihrer Familie alle Ehre machen (das passt dann ins Wertesystem). Doch meist sind sie einfach schlau - ob intelligent, bauernschlau oder streetsmart. Sie sind vor allem mutig. Sie sind vergleichsweise oft körperlich stark (ohne Superkräfte!) weil gut (und fleißig) im Kampfsport trainiert. Sie sind innerlich stark - mit dem langfristigen Ziel im Blick, auch wenn sie Momente haben, wo sie schwanken und zweifeln. Sie haben Talent. Sie sehen klar. Sie wagen neue Wege. Oder sie begehren einfach auf - subtil, aber wirkungsvoll, oder lauthals. Ich wollte hier alle Serien auflisten, wo dies so ist. Dabei fiel mir jedoch auf, dass ich dann eigentlich fast alle hier gelisteten Serien nennen müsste...

 

Hier ist nicht primär der Mann der Held und die Frau seine Muse, sondern die Frau ist (oder wird) sich selbst treu. Sie ist die Heldin. Das finde ich (für Südkorea) schon beachtlich. Da wirkt dann der romantische Moment, in dem sich so eine starke Frau berührbar zeigt, Nähe zulässt und verletzlich wird, manchmal vielleicht als Bruch - insbesondere wenn sie sich dann plötzlich unbeholfen und verschämt gibt. Und doch schaffen es die Figuren - allem voran die Schauspieler*innen - diese Szenen auch stimmig aufzufangen und modellhaft vorzuleben dass/wie starkes Selbstbewusstsein des "schwachen Geschlechts" mit Berührbarkeit und damit Nähe in Beziehung vereinbar ist. So wie ja auch die männlichen Rollen im KDrama vor verletzlichen Momenten (und z.B. Tränen) nicht zurückschrecken und Vorbild für fortschrittliche Beziehungen auf Augenhöhe sein können. Mehr koreanische Männer sollten KDramen schauen! Was dieses Rollenmodell angeht, finde ich das KDrama erstaunlich inspirierend. Da hat sich das Genre beachtliche Freiräume inmitten starrer, gefühlt in Stein gemeißelter Normen erarbeitet.

Konfuzianisch geprägtes Wertesystem

Apropos ´in Stein gemeißelte Normen´: Vorherrschend im KDrama und oftmals zum Aus-der-Haut-fahren ist der hohe Stellenwert der Tugend. Dabei steht der Respekt gegenüber Älteren und Eltern im Mittelpunkt. Allem voran mit der Familie, aber auch mit Freund*innen, Mitstreiter*innen in Schulklassen und -Jahrgängen sowie mit den Arbeitskolleg*innen ist man/frau in Südkorea in einem stark solidarischen Band verstrickt, dem man sich kaum entziehen kann. Die Familie (und ihre Interessen) hat jedoch bei allen Entscheidungen (wenn es nach der Familie geht) ein Leben lang Vorrang - auch das Heiraten ist mehr als einem/r lieb sein kann ein Einheiraten in die Familie des/der anderen (und weniger das Gründen einer eigenen). Innerhalb dieser Bande ist die Loyalität und Verbindlichkeit groß, auch die Großzügigkeit. Aber ebenfalls die Einflussnahme und das sich Einmischen (dürfen) in die Angelegenheiten der anderen. Bei der Arbeit wird dieses Motiv fortgeführt. Hier spielen zudem die regelmäßigen und raumnehmenden Arbeitsessen mit meist anschließendem Karaoke eine wichtige Rolle fürs Teambuilding

 

Es ist vielleicht allzu vereinfachend, die südkoreanische Mentalität als „konfuzianisch“ zusammenzufassen, aber es beschreibt es noch am ehesten. Die KDramen verschaffen jedenfalls einen Zugang zu einem in europäisch und amerikanisch geprägten Kulturen eher verstaubt anmutenden Wertesystem, das sich jedoch als Motiv in mehreren asiatischen (und in Variation auch in nicht-asiatischen) Kulturen bis heute findet. 

 

Randnotiz:

Ich erinnere mich, dass auch in meiner recht deutschen Kindheit noch manchmal vom "Machtwort" des Vaters die Rede war. Soo weit liegt das nicht zurück. Und auf Anstand und Respekt in der Begegnung mit Älteren wurde ebenfalls viel Wert gelegt. Einen Knicks machen, einen Diener machen, höflich sein, zuhören und nicht selber reden, außer wenn man/frau gefragt wird, und noch manche Anstandsregeln mehr... ich habe das alles vielleicht ein bisschen verdrängt, aber es ist mir nicht wirklich fremd. Ich konnte es (zum Glück) weitgehend hinter mir lassen. Der Respekt mag insgesamt nicht mehr so da sein. Aber patriarchale Strukturen haben wir auch in Deutschland noch - trotz "Du" im Beruf, auch bei flachen Hierarchien. Und in manchen Berufen sind die Befehlsketten sogar bis heute offen hierarchisch und verbindlich, sowie unterwürfigen Umgangsformen in der Begegnung mit Autoritätspersonen noch nicht ausgestorben.

 

In Südkorea stehen Leistung, Selbstdisziplin und Anstand, sowie der Respekt von Autoritätspersonen bis heute immer noch im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Auch die Ahn*innen nehmen mit aufwendigen Ritualen viel Raum ein. Auf der anderen Seite sind die Freiheiten dieser "Respektspersonen" oftmals nach meinem Ermessen erschreckend und geradezu angsteinflößend. Es ist keine Seltenheit, dass Eltern, Ältere, Lehrer*innen und Vorgesetzte handgreiflich werden und das auch in aller Öffentlichkeit dürfen. Ich habe mich in Anbetracht meiner KDramen-Studien oft gefragt, wo die Selbstbestimmung der Einzelnen bleibt. Ich nehme da viel Willkür und Gewalt wahr, die vergleichsweise ergeben hingenommen wird. Der geringe Stellenwert der Frau außerhalb ihrer gewürdigten Aufgaben in der traditionellen Familie ist bestürzend. Scheidung ist unstatthaft, ein Leben als Geschiedene eine Katastrophe, Alleinerziehende werden gemobbt, berufliche Chancen für einen Wiedereinstieg mit Kind sind fast nicht möglich... Alternative Beziehungsmodelle (z.B. gleichgeschlechtliche oder transgender Paare) werden sowieso abgelehnt.

 

Aus der Kulturgeschichte heraus kann ich das inzwischen zumindest nachvollziehen. Zu Beginn meiner KStudies war das Ausmaß für mich jedoch stellenweise unfassbar. Ich habe durch die weitgehend unangetastete, hohe Stellung der Autoritäten in KDramen nochmal zu schätzen gelernt, dass ich mir hier (in Deutschland) heute nicht mehr ALLES von vermeintlichen Autoritäten gefallen lassen muss. Was für eine Errungenschaft! Gleichermaßen hat es mich an anderen Stellen nachdenklich gestimmt, wie ein bisschen mehr Respekt vor dem, was (oder wer) mir vorangegangen ist und mir den Weg geebnet hat, auch nicht schaden würde. 

Friedliche Transformation nach Jahrtausenden der Unterdrückung

Junge Menschen leiden (nicht zuletzt auch durch die digitale Nähe zum Rest der Welt) zunehmend unter dem Schraubstock des unter "konfuzianisch" zusammengefassten Wertesystems. Die Jugend versucht, sich zu emanzipieren, sich aus den Zwängen blinder Ergebenheit zu befreien, bedingungslose Obrigkeitsunterwerfung in Frage zu stellen und das Wertesystem zu transformieren. Zaghaft. Vorsichtig. Denn der offen geäußerte Widerspruch gegenüber einer Autorität ist praktisch schon an sich ein Vergehen - ganz gleich ob berechtigt oder nicht. 

 

Es gibt in der koreanischen Geschichte eine durchgehende Tradition des Freiheitskampfes. Oftmals wurde dieser aktiv durch die Jugend vorangetrieben. Dieser unerschütterliche Widerstand, nicht selten ein Kampf auf verlorenem Posten, ist geradezu ein Leitmotiv koreanischer Geschichte. Daran zumindest kann eine anknüpfen. Die Liste der Unterdrücker reicht von Mongolen und Chinesen über eigene Feudalherren und Japaner bis hin zum eigenen Militär während der Diktatur. Zuletzt war es die (Studenten-)Bewegung für echte Demokratie, die im Mai 1980 brutalst unterdrückt wurde.

Mit einer sukzessiv gerechteren (weniger korrumpierten) Rechtssprechung (seit etwa 2016 nach Absetzung der bestechlichen Regierung) und einer fortschreitenden Schwächung der Schattenherrschaftsstrukturen der Jaebeol, kann das individuelle Selbstwertgefühl der Menschen in Südkorea nach Jahrtausenden endlich wachsen. 

 

Der Transformationsprozess geht langsam, aber andererseits auch rasant. Das zeigt sich unter anderem in der Integration von "Western Style"-Umgangsformen (z.B. die Hand geben oder eine Umarmung zur Begrüßung) sowie zahlreichen amerikanischen Begriffen in der Sprache. Ebenfalls lässt sich beobachten, dass in den früheren KDramen zwischen 2000 und 2015 die autoritären Übergriffe sehr viel häufiger, selbstverständlicher und krasser als in den neueren Produktionen vorkamen. Inzwischen hat die Toleranz der Zuschauer*innen offenbar etwas nachgelassen. Es wird eher von außen eingeschritten und es kommt auch häufiger vor, dass sich die "Opfer" selbst zu wehren wagen. Wenn es vor 20 Jahren noch der Hilfestellung des Schicksals bedurfte (schwere Krankheit oder Zufälle) so sind es zunehmend subjektive Entscheidungen und kreative, aktive Lösungswege der Protagonist*innen, sich in differenziertem Respekt aus den Fesseln von Moral und Gehorsam zu lösen. Immer öfter zeigen KDramen solch exemplarische Wege auf. Die Dynamik scheint enorm, Kulturgeschichte fortzuschreiben und anzupassen zu wollen.

 

Aber wie kann ein modifiziertes Wertsystem aussehen? Es bedarf noch sehr viel mehr Modelle für mutige, gut geerdete Individualist*innen. Und eine offene Auseinandersetzung ist nötig, was an traditionellen Werten überholt ist, sowie was an Ahnenkult gut und erhaltenswert ist, oder wie ein in Hinblick auf Individuum, Geschlechterrollen und (auch Patchwork)Familie ausbalanciertes, modernes koreanisches Selbstverständnis aussehen kann.

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