KDrama nach Themen: Zeit und Raum sind relativ

"Durian´s Affair" ist im noblen Gesellschaftsdrittel angesiedelt - hier (2023), wie dort (längst vergangene Joseon Tage). Die Zeit mag sich für zwei der Protagonist*innen gewandelt haben, der Ort nicht. Du Ri-an und ihre Schwiegertochter wurden von jetzt auf gleich aus ihrer Joseon-Zeit ins heutige Seoul katapultiert. Einige Personen im Umfeld der wohlhabenden Familie, die das Anwesen heute besitzen, sind den beiden aus ihrem Joseon-Leben her gut bekannt. Während jene zuletzt offenbar erneut in das familiäre und soziale Umfeld der heute erfolgreichen Unternehmer-Familie reinkarnierten, müssen die beiden unfreiwilligen Zeitreisenden mit dem Kulturschock und dem traumatischen, tatsächlich so unwirklich wie ein Traum anmutenden Zeitsprung klar kommen. Dabei steckten sie in ihrer eigenen Zeit doch mitten in der Trauerphase des Verlusts ihre geliebten Sohnes/Ehemannes... 

Dieses bizarre, vierdimensionale dramaturgische Setting bietet einen reichen Fundus an Verwicklungen, Vernetzungen, Verstrickungen und viele offene Fragen. Was war damals wirklich geschehen? Was ist heute los in dieser Jaebeol Dynastie? Weshalb der Zeitsprung? Und wie geht es jetzt weiter mit den beiden Damen aus Joseon-Tagen? 

Diese Produktion bereichert das KDrama Sortiment im frischen Zeitgeist der 2020er Jahre, in denen sich einerseits Anglizismen und Banmal (informelle Umgangsformen) wie selbstverständlich verbreiten, andererseits der Vorhang zwischen Zeit und Raum extrem durchlässig geworden ist. Spannendes Sahnehäubchen für die Zuschauer*innen: die pikante Aufbereitung der Beziehungsdynamiken in der vierten Dimension. Die Personen von damals sind nicht jene von heute. Und doch... Da gibt es Verflechtungen mit ihrem Leben damals, auch wenn sie sich nicht bewusst daran erinnern können, sowie die Option der Neuentscheidungen in ihrem Leben heute. Gebrochene Herzen, Amors Pfeil, Gier und Leidenschaft, sowie so etwas wie Verantwortungsgefühl oder Noblesse oblige... das alles wird durch die Perspektive der zeitreisenden Damen aus vergangen Tagen aufgemischt. Situationskomik durchbricht verkrustete Strukturen. Das befremdlich Verrückte rüttelt und schüttelt die Gemüter der Reinkarnierten und Reisenden gleichermaßen durcheinander. Das befremdlich Vertraute ebenfalls.

"Durian´s Affair" ist eine jener KDrama Produktionen, die mit gängigen Genres brechen will. Der nationale südkoreanische, doch auch der internationale Markt wird derzeit regelrecht mit einem Überangebot an KDramen überschwemmt. Da will und darf auf Seite der Produktion zwischendurch schon mal experimentiert werden ...und das wird es. Auch in diesem Fall. "Durian´s Affair" ist keine RomCom, kein Krimi, kein Historiendrama, kein Fantasy und auch kein Makjang. Dennoch sind jeweils Elemente davon enthalten. Gemeinsam kreieren sie etwas eigenständig Neues. Wer offen für ein solches Experiment ist, sollte die üblichen Erwartungen abschütteln und sich auf das KDrama einlassen. Es ist unterhaltsam. Mit einigen offenen Fragen, die das Spannungslevel halten. Love Interests gibt es auch. (Ja, Plural.) Alles vielschichtig über Zeit und Raum verstrickt. Auf der Nebenspur versprüht es zudem eine wohltuende Duftnote in Menschlichkeit. Und, ach ja, da war noch was: die Sache mit dem Karma...

Charakteristisch ist die getragene, bedächtige Gangart. Da hält sich die Produktion konsequent an die beiden aus der Zeit gefallen Damen aus Joseon Tagen. Und die beiden sind es in meinen Augen auch, die die Show zum besonderen Erlebnis machen. In mehrfacher Hinsicht können sich Protagonist*innen und Zuschauer*innen gleichermaßen an ihnen abarbeiten. Ich find´s gelungen.

RANDNOTIZ: eine Abrechnung mit den verlorenen Tugenden eines konservativen südkoreanischen Gesellschaftsbildes

„Wohin du auch gehst, geh mit deinem ganzen Herzen.“ (Zitat: Konfuzius)

"Durian´s Affair" ist, wie ich meine, eine Art Abrechnung mit den verlogenen Tugenden eines konservativen südkoreanischen Gesellschaftsbildes. Du Ri-an und ihre Schwiegertochter werden ins Seoul 2023 katapultiert und führen der elitären Sippschaft rund um die Familie Dan vor, was wahrhafte, konfuzianische Tugend eigentlich bedeutet. Damit karikieren sie diese zugleich als nahezu unerreichbares Ideal. Die beiden Damen von damals verkörpern die Tugenden ´Mitmenschlichkeit´, ´Anstand´, ´Rechtschaffenheit´, ´Weisheit´ und ´Entschlossenheit´ geradezu vorbildlich in einer derart kompromisslos konsequenten Art und Weise, dass man/frau nicht anders kann, als staunen. Konfuzianische Tugenden sind untrennbar mit Patriarchat verknüpft. Doch die Lektion in diesem idealistischen Selbstverständnis eines würdevollen, respektvollen Lebens verabreichen uns zwei Frauen! Auf Frauen-Art! Anpassungsfähig, kreativ, intuitiv, respektvoll und gut geerdet. Zeitlos menschlich, schicklich, rechtschaffen, weise und vertrauenswürdig.

Du Ri-an und ihre Schwiegertochter verkörpern die konfuzianischen Tugenden, doch mehr noch, sie haben diese ohne es zu merken transzendiert und eine Antwort gefunden, wofür diese (und jede andere Tugenden auch) eigentlich gedacht sind: Ein Selbstbewusstsein als Mensch und eine Würde, aus der ein Mensch Kraft und Selbstbewusstsein schöpfen kann - auch in den widrigsten Situationen! Dies als Voraussetzung für mitmenschliche, mitfühlende, authentische Begegnung. Die Tugenden wurde (zwangsläufig, unfreiwillig) aus ihrem konkreten gesellschaftlichen Kontext heraus in einer völlig neuen Zeit angewandt. (Und sie bewähren sich, in jedem der unterschiedlichen Haushalte der Familie Dan aufs Neue.) Es geht also nicht um den äußeren Wert der Tugend, sondern um die innere Würde und ihren inneren Wert als Kompass - und damit gewissermaßen um das Wesentliche einer Tugend: Eine Menschenwürde, die die nötige Klasse hat, Klassengrenzen zu transzendieren, und die auf jeden anderen Menschen respektvoll übertragen werden kann.

Die beiden Zeitreisenden sind geradezu Karikaturen jener vergangenen, gemeinhin als tugendhaft geltenden Joseon-Zeit. Als Fremdkörper im Seoul 2023 verkörpern sie unwirkliche, fast überzeichnete Ideale der immer noch hochgehaltenen, (wie sich zeigt) weitgehend verlorenen Tugenden. Und doch, die beiden Damen führen es vor: aus der aufrechten Verkörperung dieser Tugenden kann wahre, authentische Würde wachsen. Diese Würde erhält ihre dramaturgische Entsprechung in der insgesamt getragenen und bedächtigen Gangart des KDramas.

Die Zeitlosigkeit der alten Werte steht im offensichtlichen Gegensatz zur westlich internationalisierten Lockerheit, die einige in der Familie verkörpern wollen, sowie zur aufgesetzte elitär arroganten Version des neuen Adels, dem jedoch jegliche Erdung jenseits des Geldes abhandengekommen zu sein scheint. Es ist klar: etwas mehr Mitmenschlichkeit, Rechtschaffenheit oder Weisheit würde hier nicht schaden. Was hier geboten wird, ist vor allem eine durch das Bankkonto abgefederte Fassade. Dahinter lungern die vertrauten menschlichen Themen, die in allen Klassen dieser Tage gleichermaßen vorherrschen: Liebgehabt-Werden-Wollen, Selbstzweifel, Eifersucht, Genderfragen, Angst vor Alt-Werden, Liebe im Alter, Versuchung...

In "Durian´s Affair" darf das Familienoberhaut eine (dann doch erstaunlich liberale) Frau sein. Hier darf die gleichgeschlechtliche Liebe zum Thema werden. Und noch ein paar Zeitthemen mehr sind im Spiel. Authentizität und Aufrichtigkeit werden dabei in erster Linie durch die beiden edelmütigen, aufrechten Damen getriggert... Sie mögen die ein oder den anderen allein durch deren Art im Leben zu sein, daran erinnern, was an eigener menschlicher Würde tief in ihnen steckt oder verschütt gegangen sein mag.

Ich stehe hier nicht für konfuzianische Tugenden. Und auch das KDrama tut das nicht. Doch es hält der südkoreanischen Gesellschaft, die sich bis heute hinter den ´alten altehrwürdigen´ Werten verstecken mag, den pointierten Spiegel vor. Im Guten wie im Bösen. Wenn schon, dann gilt es, diese Tugenden mit Leben zu füllen. Botschaft: Davon ist die Gegenwart weit entfernt. Faszination? Ja. Hingezogen Sein? Vielleicht. Doch gelebt? Nein. Da müssen schon zwei Damen aus vergangener Zeit anreisen. (Und eigentlich haben sie zuhause, damals, ihr Päckchen zu tragen - ein Päckchen, dessen Schwere ebenfalls durch eine fragliche Tugendhaftigkeit (auch) der Menschen jener fernen Zeit geprägt ist.)

Jeglicher Idealisierung erteilt das KDrama eine Absage. Wie schön! Dennoch hält es Authentizität in einer würdevollen Begegnung von Mensch zu Mensch hoch. Als Wert! Als die eigentliche Tugend! Und damit - vor diesem Hintergrund - wird "Durian´s Affair" zu einer ziemlich progressiven KDrama Produktion. Wer hätte das gedacht?

PS:
Und dann das Ende. Es ist offen für alles, was man/frau sich vorstellen kann. Irgendeine Richtung. Wir entscheiden. Das Drama als Condition Humaine. Eine unendliche Geschichte? Wie das Leben. Die Früchte des Karma. Das unermüdlich sich drehende Schicksalsrad von Geburt und Wiedergeburt. Es geht immer weiter...

아씨 두리안 - Assi Durian
Lit.: Verehrte Du Ri-an

2023, 16 Episoden

Hauptdarsteller*innen:

-Park Joo-mi
-Choi Myung-gil
-Kim Min-jun
-Han Da-gam
-Jeon No-min
-Yoon Hae-young
-Ji Young-san
-Yoo Jeong-hu
-Lee Da-yeon 

Plot:
Du Ri-an hat ihren Sohn verloren. Über dessen mysteriösen Tod trauert auch die junge Ehefrau, deren Lebenssinn mit ihrem geliebten Gatten abhanden kam. Mutter und Schwiegertochter fallen unvermittelt durch die Zeit und steigen aus dem Teich der Familie Dan im Südkorea 2023. Die feiert an jenem Abend ihr Familienoberhaupt - nicht ohne einen unerwarteten Eklat. Und dann tauchen auch noch die mysteriösen Fremden im Hanbok (förmlich) auf...

Da die beiden Damen weder über Erinnerung, noch über Pass oder Adresse verfügen, kommen sie zunächst bei den Dans unter. Für Du Ri-an und ihre Schwiegertochter bedeutet dies, dann doch auch wieder mit vertrauten Menschen zusammenzuleben, denn die meisten Familienmitglieder sind ihnen mit anderen Namen und Funktionen aus ihrer eigenen Zeit sehr wohl bekannt... die Lebensgewohnheiten, die heutigen Verwandtschaftsverhältnisse und der Komfort in Seoul 2023 hingegen überhaupt nicht...