Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

Südkorea im KDrama

Makellosigkeit

Schönheitsindustrie

KDramen und KBeauty gehen ein bisschen Hand in Hand. Denn die Makellosigkeit steht nun mal hoch im Kurs in Südkorea. Ob das die Reinheit der Haut ist, kleine Kleidungsgrößen oder die Selbstverständlichkeit, mit der durch Schönheits-Ops für nachträgliche ´Perfektion´ der Gesichtszüge und anderer Körperzonen gesorgt wird: dies betrifft bei weitem nicht nur die Stars, sondern auch die breite Bevölkerung. KPop, KDrama und KWave haben das nicht erfunden, jedoch ist es ihnen gelungen, KBeauty als Verkaufsschlager im eigenen Land fest zu etablieren und zunehmend auch zu exportieren.

 

Der Markt für Schönheit und Jugend ist in Südkorea enorm, denn der Kult um die Idole aus Musikindustrie und Serienwelt lässt sich für unterschiedlichste Beauty- und Mode-Produkte in reines Gold verwandeln. Ungeschminkt das Haus zu verlassen ist praktisch als Frau nicht möglich, will man sich nicht ständig abwertende oder gar beleidigende Kommentare dazu anhören. Die Vermessung des Körpers ist allgegenwärtig und die Werbung der Beautyindustrie sowie der Beautykliniken offensiv. Mit Schönheitsprodukten werden in Südkorea jährlich über 7 Mrd. US Dollar umgesetzt. Seoul ist außerdem die Welthauptstadt der Schönheitschirurgie mit den meisten Schönheitsoperationen pro Kopf im eigenen Land sowie Zehntausenden von Touristen, die eigens nach Südkorea reisen, um sich dort operieren zu lassen. 

 

Der mittlerweile legendäre südkoreanische ´Schönheitswahn´ ist allerdings nicht neu. Die Schönheitsoperationen auch nicht. Schon Ende der 1980er Jahre hatte dies Schönheitschirurgie die breite Masse erreicht. Heute sind die Anhebung des Nasenrückens, eine zweite künstliche Augenlidfalte oder sonstige Eingriffe ein völlig normales Gesprächsthema unter Freunden und Verwandten. Da spielt der Beruf keine Rolle. Solche Eingriffe lassen sich in Seoul teilweise ambulant  - fast wie ein Friseurtermin - durchführen. Nicht nur Frauen, auch Männer sind diesem Druck zur optischen Perfektion zunehmend ausgesetzt und eine begehrte Umsatzquelle der Schönheitsindustrie. In keinem Land geben Männer so viel Geld für Hautpflege aus, wie in Südkorea. Schön ist selten schön genug - das ist gut für die Industrie, denn da ist noch viel Luft nach oben. 

 

Für die Zuschauer*innen westlicher Sozialisation vermitteln KDramen manchmal den Eindruck, die Produktion wäre durch Photoshop nachbearbeitet. Die Makellosigkeit der Gesichtszüge wirkt manchmal künstlich, entsprechende Lichtverhältnisse unterstreichen das noch. Fast durchgängig ist das Äußere immer schrecklich/erschreckend wichtig - die optische Wirklichkeit, die man von sich (und der Familie) zeigt. Das hat jedoch seine lange Kulturgeschichte: der Schein vermittelt einen Einblick in das Innenleben und ist traditionell entscheidend für gesellschaftliche Anerkennung. Das liegt im Neokonfuzianismus begründet - ein reiner, klarer Geist präsentiert sich in einem makellos gepflegten Körper. Makellosigkeit ist das Ideal, wenn es um den Körper geht, nicht etwa Authentizität. Daher ist Plastische Chirurgie und Plastik im südkoreanischen Körper kein ideelles Problem. 

Schönheitszwang

In westlicher Berichterstattung zu Südkorea und KBeauty liest man/frau in der Regel vom ´Schönheitswahn´ der Südkoreaner*innen. Das halte ich bei näherer Auseinandersetzung mit dem Koreanischen inzwischen für falsch. Es ist vielmehr ein Zwang!

 

Seit Jahrhunderten ist die äußere Erscheinung des koreanischen Körpers nicht etwa eine persönliche Angelegenheit, d.h. etwas, über das sich eine Person primär aus einer Laune, einer Überzeugung oder einer Sehnsucht heraus frei entscheidet. Die Sozialisierung im Kontext starker, kulturell geprägter Werte vermittelt, dass der/die Einzelne zuerst ein Teil der Gemeinschaft, allen voran der Familie, ist. Diese zu enttäuschen ist praktisch das Schlimmste. Makellosigkeit ist damit zugleich Ausdruck von Respekt für die Gemeinschaft. Dazu kommt in den letzten Jahren außerdem ein enormer Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt. Dies macht sich in einem schier unmenschlichen Leistungsdruck in Hinblick auf den Schulabschluss bemerkbar, doch auch im Aussehen. Wenn man sich unter Bewerber*innen vergleichbarer Noten durchsetzen will, dann hilft nur noch die Optik. (Einige KDramen schaffen es, diese sehr ernste Angelegenheit kritisch und dennoch leichtfüßig zu pointieren). Eine gute Anstellung ist wichtig - nicht nur für das eigene Auskommen, sondern auch als Ausdruck von Respekt und Dankbarkeit gegenüber den Eltern und Großeltern, die ja im Laufe ihres Lebens so viele Entbehrungen auf sich genommen haben... Die Arbeit an der eigenen Schönheit erfordert somit aus verschiedenen Gründen täglich viel Zeit und Geld. Persönliche Eitelkeit und Entscheidung aus freien Stücken sind dabei nicht die entscheidenden Faktoren. 

 

Doch die jungen Menschen ächzen zunehmend unter diesem Druck. Selbstmord unter KPop-Stars oder Schauspieler*innen erschüttern immer wieder die Öffentlichkeit. Fälle gibt es auch im Privaten. Das rüttelt auf. Dementsprechend kann frau/man in den Sozialen Medien inzwischen mutige Ausbruchtendenzen beobachten. Die Bewegung ´Escape the Corset´ etwa setzt auf provokante You Tube Videos, in denen sich junge Frauen demonstrativ ihre Haare schneiden. Auch Fotos werden gepostet, in denen die Schminkutensilien zerstört wurden und die Abkehr vom gängigen weiblichen Schönheitsideal anschaulich protokolliert wird. Das Bedürfnis nach Diskussionen ist groß. Der Wunsch nach Freiheit vom Zwang der strengen, alten und überholten Rollenklichees verschafft sich Stimmen und Gehör. Das Internet hilft dabei, die ersten mutigen Schritte zu tun.

 

Das KDrama spiegelt die Ambivalenz innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft: Die Schönheitsindustrie und das tradierte Wertesystem, das daran klebt, sind ebenso selbstverständlich präsent, wie progressive Rollenvorbilder und neue Beziehungsmodelle.

Die starke KBeauty Industrie wird noch nicht offen angegriffen, denn sie ist im Alltag der Protagonist*innen nicht hinterfragt: Immer schön duschen, immer schön kleiden, immer schön die Gesichtsmaske auflegen, und immer schön schminken, bevor frau sich mit einem Mann trifft. Indirekt setzen die Stories jedoch einen markanten Kontrapunkt zu den gängigen Rollenbildern, wenn sie Frauenfiguren tendenziell stark und selbstbewusst zeichnen, Machomänner hingegen verletzlich und einsichtig. Damit unterstützen sie einen in den Sozialen Medien geführten Geschlechterkrieg für ein neues Rollenverständnis. Auf diesen digitalen Barrikaden fordern moderne Frauen ihre Freiheit, wehren sich gegen die permanente Sexualisierung und begehren auf gegen Diskriminierung und Gewalt. Immer mehr der Zwänge und des Missbrauchs überdrüssige Frauen treten dabei gegen konservative Machomänner an, die Frauen lieber weiterhin hübsch und gepflegt, am Herd und vollumfänglich für die Kinder zuständig sehen möchten. Der Preis ist hoch: Moderne junge Frauen verlieren zusehends die Lust auf die realen südkoreanischen Männer (die im KDrama wären eher nach ihrem Geschmack). Im weltweiten Vergleich hat Südkorea die niedrigste Reproduktionsrate. Schon in wenigen Jahren wird die Bevölkerung schrumpfen, wenn sich da nicht schnell etwas im öffentlichen Bewusstsein und Wertesystem ändert.

 

Randnotiz: In Sachen Gleichbehandlung steht Südkorea unter 152 Staaten gemäß dem Gender Gap Report 2021 des World Economic Forum, in dem die Gleichbehandlung der Geschlechter in verschiedenen Gesellschaftsbereichen erfasst wird, auf Platz 104. Damit gehört das Land weltweit zu den Schlusslichtern. Doch immerhin scheint sich etwas zu bewegen, denn 2017 war Südkorea noch auf Platz 118.

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