Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

KDrama nach Themen

Bildung & Arbeitswelt

Hart umkämpfter Arbeitsmarkt - keine Zeit für das eigene Leben

Immer wieder kann man/frau lesen, dass Südkorea über gut ausgebildete Arbeitskräfte verfügt. Das ist ganz schön für die Unternehmen, aber ein Problem für die Bewerber*innen, denn der Arbeitsmarkt ist extrem hart umkämpft. Die offizielle Arbeitslosenrate für 2021 ist mit 4,6 Prozent prognostiziert. Das trifft vor allem junge Menschen - unter den 20- bis 29-Jährigen sind ca. 9 Prozent ohne reguläre Beschäftigung gemeldet. Es gibt jedoch auch nicht gemeldete Arbeitslose und darüber hinaus den Markt der nicht regulär Beschäftigten, deren Arbeitslosenrate in diesen Zahlen überhaupt nicht erfasst wird. Rund ein Drittel der Bevölkerung ist ohne festen Job und erhält damit auch oft keine Sozialleistungen. Die Aussichten sind nicht gut, denn das verarbeitende Gewerbe im Schiffbau, in der Textilbranche oder bei der Fertigung von Handys und Displays, baut wegen der hohen Lohnkosten schon seit Jahren Arbeitsplätze ab und verlagert die Produktion ins Ausland. 

 

Bei der Jobbewerbung entscheidet dann nicht die Note, denn die ist bei vielen recht gut, sondern WO der Abschluss gemacht wurde und WIE man (insbesondere Frau) aussieht. Bei gleicher Qualifikationen sind Frauen benachteiligt - ihre Beschäftigungsquote lag 2020 ca. 20 Prozent unter den männlichen Beschäftigten. Sie sind in Führungspositionen kaum vertreten und erhalten im Durchschnitt weniger Lohn. Die Chefetagen gehen davon aus, dass Frauen heiraten werden und sich mit der Schwangerschaft aus der Geschäftswelt verabschieden. Wiedereinstieg ist nicht vorgesehen und praktisch kaum möglich.

 

Benachteiligt sind auch die nicht regulär Beschäftigten - unter den OECD Mitgliedsstaaten beschäftigt Südkorea im Schnitt viermal so viele irreguläre Arbeitnehmer wie die anderen 37 Staaten. Sie sind schlechter bezahlt (in der Regel beträgt der Lohn ca. die Hälfte eines regulär Beschäftigten), weniger geschützt (die Betriebsgewerkschaften sind für sie nicht zuständig, da sie offiziell nicht zum Betrieb zählen), und ihre Arbeitsplätze sind befristet (meist auf weniger als ein Jahr). Diese Entwicklung ist eine Folge der Asienkrise 1997/98. Damals griff die Zahlungsbilanzkrise der Banken auf die gesamte Gesellschaft über. Seitdem hat die Zahl informeller, „irregulärer“ Arbeitsverhältnisse dramatisch zugenommen. 

 

Hat man/frau dennoch eine Anstellung gefunden, dann sind lange Arbeitszeiten die Regel. Das Konzept Work-Life-Balance steht in Südkorea noch ganz am Anfang. 2018 wurde dies in Unternehmen ab 300 Mitarbeitern neu geregelt: die maximale Wochenarbeitszeit  beträgt dort inzwischen 52 (statt 68) Stunden in größeren Unternehmen. Auch Kleine und Mittlere Betriebe müssen sich seit 2021 an diese Vorgabe halten, allerdings sind dort Ausnahmen von bis zu 60 Stunden pro Woche möglich. Dennoch bleibt immer noch kaum Zeit für das eigene Leben. Die Lebenszeit am Arbeitsplatz wird von kaum einem anderen Industriestaat übertroffen. Ich habe Zahlen gelesen, nach denen Südkoreaner*innen jede Jahr im Schnitt 630 Stunden mehr arbeiten als in Deutschland. Auch wenn die regulären Arbeitszeiten jetzt etwas reduziert wurden, wird kaum eine/r darauf bestehen -  wer will schon seinen Arbeitsplatz riskieren... Hinzu kommen die häufigen Firmenessen mit anschließendem Karaoke. Da wird es dann immer spät.

 

Es gibt Zahlen aus Umfragen, die ergeben, dass im Schnitt sieben von zehn Südkoreaner*innen keine Zeit für Dates haben und nur ca. vier von zehn in einer festen Beziehung leben. Die Arbeit ist wichtiger. Nicht notwendiger Weise, weil sie sich so sehr damit identifizieren, sondern weil sie sie keinesfalls verlieren wollen. Der Leistungsdruck ist bei allen enorm. In der Konsequenz sind 3/4 der südkoreanischen Frauen zwischen 25 und 29 noch nicht verheiratet. Unter den Frauen zwischen 30 und 34 sind immer noch mehr als die Hälfte unverheiratet. Südkoreanische Frauen haben außerdem zunehmend moderne Ansprüche an ein selbstbestimmtes Leben. Sie sind an Machomännern und erstickenden Familienstrukturen, die sie auf Kinder, Repräsentieren und Haushalt reduzieren, immer weniger interessiert. Das liegt aber auch daran, dass normale Haushalte kaum ihre Ausgaben decken können. Sie müssen sich daher verschulden. Selbst jene, die regelmäßig und relativ gut verdienen, können sich Wohnung und Familie kaum leisten. Die Last der Zinszahlungen ihrer Schulden ist enorm und mit einem Einkommen aus regulärer oder gar irregulärer Beschäftigung kaum zu leisten. Familie kostet Geld. Die Scheidungsraten steigen (inzwischen weltweit eine der höchsten), doch Frauen finden nur schwer ins Berufsleben zurück. Alleinerziehend (unverheiratet) zu leben ist zudem ein Stigma. Dementsprechend bekommen nicht nur unverheiratete Paare, sondern auch Ehepaare seltener Kinder. 

 

Die Gesellschaft steckt in einem Dilemma. Sie kann eigentlich nicht anders, als ihre patriarchalen, Frauen diskriminierenden Wertesysteme modernisieren, wenn sie überleben will. Die südkoreanische Bevölkerung wird ansonsten unter den gegebenen Umständen ab 2027 schrumpfen. (Update 30.7.2022: Statistics Korea meldete am 28.7.2922, dass die Südkoreanische Bevölkerung im Jahr 2021 erstmal seit der Datenerhebung 1949 schrumpft...)

Leistungsdruck fängt in der Schulzeit an - Bildung und Zwang

Um auf dem südkoreanische Arbeitsmarkt eine Chance zu haben, ist eine gute Ausbildung die Voraussetzung. Angesagt sind Absolventen der führenden Hochschulen, allen voran die renommierten SKY-Universitäten in Seoul - Seoul National University, Korea University, Yonsei University - oder Postech. Wer dort eine Zulassung erhält, hat es so gut wie geschafft. Eine Umfrage, die 2014 in der Korean Times zitiert wurde, ergab, dass unter den 586 CEOs der 500 größten Seouler Unternehmen 296, also die Hälfte, ihren Abschluss an einer der drei SKY Universitäten gemacht haben... Hier wird die Elite geschmiedet. Dementsprechend anspruchsvoll sind die Zulassungsvoraussetzungen. Exzellente Noten alleine reichen schon gar nicht mehr. Dementsprechend ist die Aufnahme hart umkämpft, der Preis, den die jungen Menschen mit ihrer Lebenszeit und Eltern mit Ausgaben für ein elaboriertes Nachhilfeprogramm zahlen, hoch.

 

Während die Männer in Südkorea traditionell immer noch primär für den Unterhalt der Familie sorgen, sind die Frauen für die Erziehung der Kinder verantwortlich. Dies beinhaltet die Bildung und Ausbildung. Der Erfolg des Kindes ist der Erfolg der Familie. In dieser Rolle stehen die Mütter unter großem Druck: sie müssen liefern. Und sie liefern. In der Pisa Studie besetzen die südkoreanischen Schüler*innen weltweit die vordersten Plätze. Aber hinter den vielversprechenden Zahlen steckt ein Alptraum für manch Jugendliche (und für ihre Mütter wahrscheinlich ebenfalls...).

 

Ab der Mittelschule spätestens dreht sich alles um Leistung, Noten und noch bessere Noten. Die Tage sind kurzgetaktet durchorganisiert. Dabei ist kaum Platz für spontanes Spiel mit Gleichaltrigen, Erholung und Freizeit. Ziel ist es, ein gutes Resultat im Suneung, der Universitätseintrittsprüfung, zu erzielen. Die Bewerbungsmappe erfordert außerdem: Aufzeichnung der schulischen Aktivitäten (Noten & soziale Fähigkeiten), Das Bestehen in den Universitätseigenen Testverfahren (Aufsatz schreiben, Interviews etc.), respektable Empfehlungsschreiben, ggf. eine zusätzliche Eignungsprüfung sowie Auszeichnungen und Preise während der Schulzeit. Je besser der Inhalt dieser Bewerbungsmappe, desto besser die Voraussetzungen, an einer renommierten, vielleicht sogar einer der drei SKY Universitäten angenommen zu werden.

 

Der Notendurchschnitt der Mittelstufe entscheidet, an welcher Oberschule die Schüler*innen angenommen werden. Jene Oberschulen mit dem höchsten Prozentsatz an Schulabgänger*innen, die es an eine SKY Universität schaffen, sind die begehrtesten. Der Konkurrenzkampf um die Schulplätze ist enorm. Damit wird nicht erst die Oberschule von der 10. bis zur 12. Klasse zur entscheidenden Phase ihres Lebens. Spätestens dann wird der Schulunterricht noch durch Nachhilfe in speziellen Akademien ergänzt. Dort werden die Schüler*innen gezielt auf die Universitätszulassung vorbereitet und gecoacht. Damit dauert ein Schultag in Südkorea schon einmal 16 Stunden... Das, was an Freizeit bleibt, findet hauptsächlich in der Familie statt. Und dort dreht sich das meiste um Noten, Prüfungen und Optionen für noch besseres Coaching. 

 

Dementsprechend bekommt die Mutter-Kind-Beziehung einen hohen Stellenwert. Der Erfolg des Kindes wiederum bestimmt die Beziehung der Mutter zum Ehemann, den Eltern und Schwiegereltern. Erfolg oder Misserfolg der Kinder färbt auf die Familie ab. Die Kinder lernen in ihren jungen Jahren, dass sie nicht etwa für sich lernen (die Berufswelt ist da für sie noch viel zu weit weg), sondern für den Ruf der Eltern, für die Mutter, für eine gute Stimmung. Und wenn es nicht genug ist, dann wird schon mal mit dem "Stock der Liebe" mit Nachdruck nachgeholfen, um den Charakter und den Leistungswillen der Kinder zu stärken. So manches Kinde wird im Zuge des Bildungsstresses körperlich schwer misshandelt. Nicht genug damit: Mobbing an Schulen prägt den südkoreanischen Schulalltag mehr als anderswo auf der Welt.

 

So bleibt den Kindern und Jugendlichen nichts anderes übrig, als sich zu Hause und in der Schule zu ducken und anzustrengen und noch mehr anzustrengen und noch mehr anzustrengen. Inseln, wo sie sich mit Freund*innen aufrichtig austauschen und mal etwas anderes erleben könne, sind rar. Die sozialen Netzwerke bieten hierbei eine große Chance - können aber im Gegenzug auch wieder zum Ort des Mobbing werden. Und im Beruf geht es dann genau so weiter. Da muss frau/man sich nicht wundern, dass Südkorea auch in einem weiteren, wenig rühmlichen Sektor an der vorderen Weltspitze mitmischt: der Suizidrate. Die WHO errechnete für Südkorea 2019 auf je 100.000 Einwohner*innen 28,6 Selbstmorde (in Deutschland waren es 12,3). Es gibt nur 3 Länder, deren Suizidrate noch höher liegt...

 

Das KDrama ist voll von Plots und Nebenplots, die diese Schieflagen in allen möglichen Variationen problematisieren. Daraus kann man erkennen, dass die Phase der Akzeptanz vorüber ist. Das KDrama bietet bei diesen Themen mit Hilfe der Dramaturgie mal subtil mal offensiv aufbereitet Aufklärung, Auseinandersetzung, Konfrontation, Transformation und neue Modelle für Geschlechterrollen, Partnerschaft, Familie, Work-Life-Balance. Es bildet aber auch in erschreckender Selbstverständlichkeit den Status Quo ab. 

Beispiele

Druckversion | Sitemap
© Wörtertanz.com 2021-2024