Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

KDrama nach Themen: Beispiele für KMovie

Innocent Witness

Warum nehme ich "Innocent Witness" hier auf, wenn die Story doch eigentlich nicht sonderlich spezifisch im Koreanischen unterwegs ist? (Und das ist sie nicht... sie wendet sich mit ihrem Thema an alle überall und jede/n gleichermaßen.)

Nun, weil es so bezeichnend ist, dass dieser Kinofilm, der kein Genre so richtig bedienen will, und der in Deutschland allenfalls als Fernsehfilm gelaufen wäre, in Südkorea 2019 auf der großen Leinwand gezeigt wurde und in diesem Zusammenhang eine ganze Reihe von gefragten Preisen gewonnen hat. 55th Baeksang Arts Awards, 39th Golden Cinema Film Festival, 40th Blue Dragon Film Awards, 6th Korean Film Producers Association Awards, 27th Korean Culture and Entertainment Awards und 39th Korean Association of Film Critics Awards stehen auf der Liste... Spezifisch koreanisch ist, dass die diversen Auszeichnungen für die so charakteristisch einfühlsame, emotionale Erzählweise und Darstellung gegeben wurden, die in Deutschland allenfalls in den Programmkinos einen Hauch von Aufmerksamkeit bekommen würde. Bezeichnender Weise lief das Movie nie in europäischen Kinos. Die Ausstrahlung konzentrierte sich auf Asien und Australien. 

 

"Innocent Witness" ist nicht kitschig, sondern unaufgeregt. Die Story lebt nicht von treibender Spannung und bietet keine schillernde Action, sondern lediglich eine ruhige, unaufdringlich berührende Geschichte. Viel Zeit verbringen die Zuschauer*innen im Gerichtssaal, doch während Law&Order den Rahmen bilden, bestimmen dies tatsächlich nicht das, wovon die Geschichte erzählen will: Kommunikation, Austausch und Verständigung können nur wirklich gelingen, wenn man/frau sich auf die persönliche Welt der anderen Person bedingungslos einlässt. Das wird oft vergessen, da wir meinen, einander ganz einfach verstehen zu können, wo doch deine und meine Welt so ähnlich zu sein scheinen. Als könnten wir da vieles einfach wie selbstverständlich voraussetzen. Das ist jedoch nicht Verstehen, sondern Vorurteil. Das kann passen, muss aber nicht. Meist passt es vielleicht, daher gibt es selten Grund, meinen Zugang zur Welt zu hinterfragen. "Innocent Witness" provoziert hier, indem es sich bei dem Gegenüber um ein junges Mädchen mit Autismus-Spektrum-Störung handelt. Um Verständigung zu erreichen, müssen sich der Anwalt und alle anderen auf die Welt der Protagonistin einlassen und die Ereignisse und Geschehnisse (mühsam?) aus ihrer Perspektive verstehen lernen. Die Auseinandersetzung mit autistischer Weltsicht scheint zwar für die meisten Menschen auf den ersten Blick krass, doch im Grunde fordert sie nur (im Dienste der Story recht plakativ, aber wirkungsvoll implementiert) das, worauf wir uns eigentlich in jeder Begegnung mit jedem Menschen einlassen sollten, mit dem wir uns austauschen. Dazu sind wir jedoch meist zu bequem ...solange es halbwegs funktioniert und uns die Missverständnisse nicht doch irgendwann schmerzlich einholen...

 

"Innocent Witness" stößt die Zuschauer*innen mit beharrlichen, warmen, leisen Tönen bestimmt und konsequent zu dieser Erkenntnis. Am Anfang steht die Frage des Mädchens: "Bist du ein guter Mensch?". Am Ende steht die Erkenntnis des Anwalts: "Ich möchte ein guter Mensch sein (´werden´)!" Den Weg dahin porträtiert das Movie zielstrebig, jedoch recht unspektakulär und ohne besondere cineastische Originalität. Die Gangart ist geprägt durch einen liebevollen Grundton, gleich einem Generalbass, der die Pointen in warmes Licht taucht und die Geschichte auf emotionaler Ebene zusammenhält. Dies jedoch, ohne schwer oder allzu ernst sein zu wollen. Auch die Tränendrüse wird nicht unbedingt strapaziert. Im Gegenteil, es gibt ebenfalls Raum für Schmunzeln, Freude und gute Laune.

 

Das KMovie wird im Wesentlichen durch die wunderbare Dynamik zwischen Anwalt und Zeugin geprägt. Eine ambivalente Dynamik durchaus. Die ursprüngliche Absicht des Anwalts ist alles andere als rein, wenn er anfangs die einzige Zeugin, die den Mord seiner Mandantin gesehen haben will, genauer abchecken will. In seiner Annäherung an die Zeugin geht es ihm zunächst nur um seinen Fall und die Frage, wie ernst er die Zeugin für den Verlauf seines Falles nehmen muss. Die unerwartet aufkeimende Freundschaft hat einen unlauteren Ursprung, der die Begegnungen schleichend überschattet.

 

Die beiden Mimen der Protagonist*innen und auch die ein oder andere Nebenrolle haben all ihre Preise wohl verdient, da sie diese Dynamik grandios verkörpern. Nachwuchstalent Kim Hyang-gi brilliert in ihrer Rolle als Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störung. Veteran Jung Woo-sung wiederum als einst ambitionierter Anwalt für Menschenrechte, weder Fisch noch Fleisch, mit fast 40 immer noch alleinstehend, der etwas aus der Bahn geraten ist und verführbar wird, da er Geld für die Parkinson-Behandlung seines Vaters benötigt. Die beiden stolpern jeweils auf ihre Art etwas unbeholfen in ihre zwischenmenschliche Begegnung. Umgang mit eigenen Gefühlen und denen anderer ist ihrer beider Stärke nicht. Nichtsdestotrotz, aus der gegebenen Notwendigkeit heraus, sich einlassen zu müssen, entwickelt sich langsam, leise, subtil, sensibel und nachhaltig eine eigentümlich freundschaftliche Beziehung.

 

Augenscheinlich liegt der missionarische Schwerpunkt des Movies darauf, dass auch Menschen mit Handicap Menschen mit Würde sind, die wir als solche ernst nehmen sollten/ müssen. Letztlich geht die Mission jedoch sogar noch einen Schritt weiter und fordert die respektvolle, ernsthafte Begegnung mit JEDEM Menschen - ganz gleich welcher Herkunft oder Kleidung, gesundheitlicher Einschränkung oder Alter. Meist meiden wir jene, die anders ´ticken´, denn es ist anstrengend, sich auf jemanden wirklich einzulassen, tatsächlich hinzuhören, aufrichtig verstehen zu wollen... dies erfordert an manchen Stellen, mich selbst und meine selbstverständlichen Überzeugungen, Annahmen und Sichtweisen auch mal hinterfragen zu müssen. Es ist einfacher, schlicht meine eigene Weltsicht auf der Basis oberflächlichen Austausches als gegeben zu nehmen und auf meine Mitmenschen zu projizieren. Eine solche Haltung kann jedoch im Umkehrschluss dazu führen, dass mein Leben oberflächlich wird... bequem zwar, hübsch, nett und ansehnlich vielleicht, aber oberflächlich...

 

Also. Ein KMovie, das viel im Gerichtssaal spielt, dessen Urteilsspruch bezüglich Recht und Unrecht jedoch weniger den eigentlichen juristischen Fall betrifft - der wird gleichsam zur Nebensache - sondern diesen gleichsam von jedem/r einzelnen von uns einfordert: Bin ich ein guter Mensch? Höre ich wirklich hin? Lasse ich mich wirklich auf Begegnung ein? Sind meine Prioritäten im Leben die richtigen?

 

"Innocent Witness"  bedient kein Genre so wirklich, und doch weiß die in aller Schlichtheit erzählte Geschichte zu berühren. Optimistisch. Lebensfroh. Kein Spektakel, und doch vergehen die 2 Stunden irgendwie wie im Flug. 

증인 - Jeungin

Lit.: Zeugin

 

2019, 129 Minuten

 

Hauptdarsteller*innen:
-Jung Woo-sung
-Kim Hyang-gi
-Lee Kyu-hyung
-Yum Hye-ran
-Jang Young-nam
-Kim Jong-soo

 

Plot:

Anwalt Soon-ho wollte zwar als Menschenrechtsanwalt Gutes tun, doch die Parkinsonkrankheit seines Vaters bringt ihn etwas in Not. Er benötigt mehr Geld als die gemeinnützige Einrichtung, für die er tätig ist, zahlen kann. Stattdessen lässt er sich von einer Kanzlei anheuern, die ihm für den ein oder anderen schmutzigen Job sogar die Partnerschaft verspricht. Nur ein zwei Mal die Augen zudrücken und die tatsächlich `Schuldigen´  verteidigen, könnte all seine Geldsorgen vertreiben. 

 

Soon-ho soll einen pro-bono Fall der Kanzlei übernehmen - eine Haushälterin hat ihren Chef umgebracht. Sie sagt, es wäre Selbstmord gewesen. Es gibt jedoch eine Zeugin, die den Tathergang gesehen haben will - die 15jährige Ji-woo. Dennoch scheint die Verhandlung reine Formalität, da Soon-ho der Aussage einer ´Autistin´ vor Gericht nicht viel Chancen einräumt, ernst genommen zu werden. 

 

Die Gespräche mit ihr im Vorfeld der Verhandlung werden durch ihre Autismus-Spektrum-Störung erschwert und verlaufen oft anders, als Soon-ho das gewöhnt ist... 

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