KDrama nach Themen: Historiendramen
Für mich ist "The Tale of Lady Ok" eines der KDramen, die zwar in bunte historische Gewänder gehüllt und ins ferne Joseon platziert wurden, dabei jedoch weniger die koreanische Geschichte dramaturgisch aufbereiten als moderne Zeithemen prozessieren. Dabei bildet Joseon eine farbenprächtige, inspirierende Kulisse. Laut Autorin Park Ji-sook gehen die Protagonist*innen ursprünglich sogar auf reale (?) historische Geschichten aus dem 16. Jahundert in Frankreich und dem 17. Jahrhundert in Joseon zurück. Erstere handelt von einem Identitätsraub, letztere von dem mühsamen Versuch, im Angesicht der strengen Gesellschaftshierarchien einen Mord wahrhaftig aufzuklären. Doch die Geschichte, die daraus letztlich um die fiktive Ok Tae-young gestrickt wurde, behandelt dabei primär topaktuelle zeitkritische Themen. Diese werden gewissermaßen auf historisch ´neutralem´ Boden wirkungsvoll aufgearbeitet.
Uns erwartet ein mit Makjang gepfeffertes und mit den unterschiedlichsten Emotionen angereichertes Serienvergnügen - mit dramaturgischen Wendungen und schicksalhaften Twists ´n Turns, die durchaus schon mal auf die Spitze getrieben sein mögen. Und doch nimmt die Geschichte faszinierend ihren Lauf. (Ja, auch eine Liebesgeschichte.)
Freuen wir uns auf eine intelligente, starke, mutige Frau, die sich im Angesicht widrigster Umstände bewähren muss/darf/will/kann. Gehässig intriganter, skrupelloser Zickenkrieg ist ebenso inklusive, wie Sisterhood und Bande der Liebe - romantischer sowie platonischer Prägung.
Hier geht es um Identität. Um wahre Identität, die sich nicht richtig anfühlt. Um wahre Identität, die nicht sein darf. Um falsche Identität, die sich hingegen richtig anfühlt. Ist das, was richtig scheint, auch wahrhaftig? Ist das, was falsch scheint, deswegen nicht auch wahr? "The Tale of Lady Ok" verpackt dramaturgisch fein verstrickt ein brandaktuelles Ringen mit Identitätsfragen und Normen im Angesicht von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Unterdrückung.
Es gibt kaum ein KDrama, wo die Bevorzugung der Elite, von Bestechlichkeit und unlauteren Machenschaften unter den Mächtigen keine Rolle spielen würde. So auch hier. Wie so oft reicht das bis an den Rand der Schmerzgrenze (auch der Zuschauer*innen). "The Tale of Lady Ok" ist ebenfalls eine solche Geschichte, die da jede Menge Register zieht. Darin werden zugleich aktuelle gesellschaftsrelevanten Fragen prozessiert - im Spanungsfeld von Recht versus Ordnung, von Gesetzen versus traditionell genormten Vorurteilen, sowie Verständnis versus Verstehen. Ob Bedienstete, Geliebte, Familie, Freund*innen, Dorfgemeinschaft oder Gesellschaft, "The Tale of Lady Ok" provoziert auf allen Maßstabseben mit vergleichsweise progressivem Rollenverhalten.
Die Zahlen der Zuschauer*innen haben sich nach der Hälfte der Folgen verdoppelt. Story, Spiel und Produktion kommen gut an. Bei allem gesellschaftskritischen Zündstoff ist "The Tale of Lady Ok" ja in erster Linie Serienvergnügen, das Unterhaltung liefern will. Es liefert.
Mehr Drama geht dabei auch hier immer... Außerdem hat es sich das Prädikat "wertvoll" verdient.
Randnotiz:
Neues Themenfeld im KDrama: Identität, Selbstbestimmung und Auflehnung
Diese Themen nehmen 2024 im KDrama-Orbit, wie ich finde, sichtlich an Fahrt auf.
Zunächst war für ein Aufbegehren gegen Autoritäten in Familie und Beruf noch die Rückendeckung von etwas Magie nötig - etwa bei "Marry My Husband" oder "Perfect Marriage Revenge". Unter anderem setzte dann "What Comes After Love" 2024 mit dem Versuch der Emanzipation von der uneingeschränkten Autorität der Eltern auf diese neue Welle der ´Selbstbestimmung´, die sich langsam aber sicher im südkoreanischen Massenbewusstsein Gehör verschafft.
Zum Jahresende hin dramaturgisch recht provokant zugespitzt wird das zeitaktuelle Themenfeld Identität, Selbstbestimmung und ein Versuch der Auflehnung gegen Normen dann im historischen Kontext in "The Tale of Lady Ok ". Doch auch "Jeongnyeong: The Star is Born" steht in diesem Kontext.
Fast zeitgleich mit "Love Your Enemy" lief zum Jahresende ebenfalls "When the Phone Rings" als KDramen im heutigen Südkorea an, die ohne Magie auskommen dürfen. Das eine eher humorvoll, das andere eher ein Psychothriller. Doch beide schwimmen im selben gesellschaftskritischen Fahrwasser, das sich mit den Themen Identität, Selbstbestimmung und Auflehnung auseinandersetzt: die Schwierigkeit des Aufbegehrens gegen die Autorität der Eltern und die Absolutheit der elterlichen Gebote und Verbote - ein neues Selbstverständnis als Erwachsene sucht sich seinen Weg. ...Und darf das auch, in entsprechend dramatisch verstricktem KDrama-Kontext.
Diese KDramen tanzen zum Jahresende 2024 zunehmend in progressivem Tenor über die Bildschirme und in die Herzen der Zuschauer*innen hinein. Dabei bringen sie die Generationen zum Nachdenken, vermitteln die Erlaubnis, in Stein gemeiselte Gepflogenheiten zu hinterfragen, und eröffnen damit die Freiheit, Neues auszuprobieren. Nicht nur bei den Protagonist*innen, die sich freischwimmen wollen, sondern auch bei der älteren Generation gibt es zunehmend progressive Rollenvorbilder.
Nennen wir es Aufbruchstimmung in eine neue Dimension der Freiheit, auch individuell eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. (Dazu passt vielleicht, dass Ende 2024 die südkoreanische Bevölkerung auf die Straße geht und sich ihre bislang (mühsam) errungene Freiheit nicht per autoritär verhängtem Kriegsrecht-Dekret nehmen lassen will.)