Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

KDrama nach Themen: Historiendramen

Jeongyeon: The Star is Born

"Jeongnyeon: The Star is Born" zählt zu den außergewöhnlichen Produktionen im Jahr 2024: Außergewöhnlich, was das Thema und den eher speziellen kulturellen Hintergrund betrifft, denn das KDrama feiert zwei sehr südkoreanische Kunstformen: das reine Frauen-Performancetheater Gukgeuk der Nachkriegszeit und den tief in der koreanischen Kultur verwurzelten, epischen Erzählgesang Pansori. Außergewöhnlich auch, da hier das KDrama einmal einen Frauenraum aufspannt, in dem die Frauen die entscheidende Rolle spielen und dabei einmal ausdrücklich NICHT auf ihrer Geschlechterrolle reduziert werden. Außergewöhnlich schließlich auch, was die schauspielerische Leistung betrifft: in diesem Fall in doppelter Hinsicht, da die hoch engagierten Schauspielerinnen uns eine Show in der Show präsentieren. "Jeongnyeon - The Star is Born" hat in meinen Augen auf jeden Fall das Prädikat "besonders wertvoll" verdient.

 

Der internationale Titel ist vielleicht etwas missverständlich, denn als Gukgeuk Star wird niemand ´geboren´. Das ist harte Arbeit, auch für jene, die mit Talenten geboren sein mögen. Das genau ist auch das Thema der Story im KDrama. Das historische Setting der 1950er/1960er Jahre mag vielleicht etwas altbacken scheinen – wen interessiert schon eine so spezielle Theater-Strömung, die nur ein paar Jahrzehnte in war und inzwischen fast vergessen ist? Von wegen! Das Thema ist top aktuell. Das südkoreanische Publikum ist begeistert. In den Zuschauer*innen-statistiken haben sich die Zahlen über die 12 Folgen vervielfacht. Kein Wunder, denn der Plot an sich könnte mühelos auch heute, 2024, angesiedelt sein. Das Gugeuk-Training steht der modernen KPop Idol-Schmiede in nichts nach. Dementsprechend sind die persönlichen Entwicklungsprozesse, die Konfrontation mit persönlichen Grenzen und Herausforderungen, den Beziehungsdynamiken, sowie Konkurrenz, Schwärmerei, Freundschaft, Hassliebe, Neid, Selbstzweifel, Selbstüberschätzung und schließlich auch Raubbau an den eigenen Kräften und Möglichkeiten praktisch zeitlos.

 

Doch aufgrund der Tatsache, dass diese persönlichen Prozesse der Protagonistinnen in die 1950er Jahre zurückverortet werden, erwecken sie zugleich die Kunstform des Pansori und die Blüte des (heute fast vergessenen) Gukgeuk zu strahlend frischem, mitreißendem Leben. Indem uns zudem gleich drei Generationen an Gukgeuk und Pansori Stars vorgestellt und emotional näher gebracht werden, bekommen wir einen nachhaltigen Eindruck von jenem außergewöhnlichen südkoreanischen kulturellen Erbe. (Siehe dazu bei Interesse auch die Randnotiz weiter unten.)

 

Der Originaltitel lautet lediglich "Jeongnyeon". Die Geschichte geht auf ein gut recherchiertes Webtoon zurück. Während im Webtoon die Hauptperson und ihren persönlichen Entwicklungsprozesse fokussiert werden, legt das KDrama den Schwerpunkt auf die Beziehungen, die Jeongnyeon auf ihrem Weg ebenso prägen, wie auch die anderen Frauen - jung und alt.

 

Das KDrama "Jeongnyeon: The Star is Born" verkörpert die Qualität und die (kurze) Geschichte des Gukgeuk plastisch am Beispiel dreier Generationen von Gukgeuk Künstlerinnen. Das gelingt ganz wunderbar. Das gelang auch dem Webtoon bereits 2019, der durch das Kulturministerium sogar ausdrücklich für die herausragende Qualität der Geschichte und auch für seinen Beitrag zur Sensibilisierung der Gleichstellung der Geschlechter in Südkorea ausgezeichnet wurde.

 

Kim Tae-ri führt das fantastische Ensemble an. Doch auch wenn sie sich hier wieder einmal selbst übertrifft, sie ist es nicht alleine, sondern das Ganze, das mehr ist als die Summe seiner Teile – wie auch das Stück auf der Gukgeuk-Bühne eine Co-Kreation darstellt, an der alle auf ihre Weise, gemäß ihrer Rolle und Aufgaben, mitwirken, damit daraus etwas Großes werden kann. Und so tragen hier alle Damen auf ihre unverwechselbare Weise zum Gelingen dieser famosen Produktion bei. Ich meine: auf jeden Fall sehenswert.

 

 

 

 

 

 

 

 

Randnotiz: Pansori  

Pansori ist in seiner Form geradezu einzigartig: eine sehr alte, in der koreanischen Kulturgeschichte weit zurückreichende Form epischen Erzählgesangs, die mit minimalistischen Mitteln maximale emotionales Charisma zu erzeugen vermag. Dazu braucht es eine Person, die singend eine Geschichte erzählt und eine Person, die dazu die Trommel schlägt.

 

Die emotionale Kraft der unterschiedlichen dramatischen Stimmungslagen wird durch ein stilisiertes Repertoir an Stimmeinsatz und expressiver Darbietung geprägt. Dies in Kombination mit ebenso charakteristisch eingesetzten Rhythmen des Trommelschlags. Eine Ein-Personen-Oper, in der eine Person sozusagen ALLE Rollen spielt.

 

Die Wurzeln des eigenwilligen Tönens in Kombination mit der Trommel gehen auf den koreanischen Schamanismus zurück. Im 17. Jahrhundert wurde daraus eine eigene Kunstform, um die Menschen mit unterschiedlichsten Geschichten im Straßentheater in den Bann zu ziehen. Darauf bezieht sich auch der Name "Pansori". "Pan" bezeichnet einen Ort, an dem Menschen zusammenkommen. Mit "Sori" ist der Ausdruck der Stimme, der Gesang gemeint. Spätestens im 19. Jahrhundert hatte Pansori dann die Aufmerksamkeit der Oberschicht und wurde formal verfeinert. Erzählt wird dabei stets von Geschichten, die das Leben der Menschen auf der koreanischen Halbinsel seit Jahrhunderten bestimmt – hochdramatisch und emotional expressiv. Erzähler*in und Publikum gehen dabei stets in Beziehung. Kein Monolog, kein Vortrag. Erzähler*in und Publikum begegnen sich vielmehr in dem intimen, emotional aufrichtigen, verletzlichen Raum, den die Geschichte eröffnet – im Mitgefühl mit deren Protagonist*innen. (Möglicherweise, das ist meine Vermutung, die Wurzel und kulturelle Wiege des Erfolgs der Erzählkunst auch im modernen KDrama.) 

 

Pansori kann nicht jede*r einfach so. Dieser Erzählgesang ist speziell. Die Ausbildung ist hart. Zum Gesang kommt ein Repertoire an Mimik, Gestik und Bewegungsformen, die in ihrer Struktur gegeben sind, jedoch individuell ausgefüllt werden müssen. Charakteristisch für den unvergleichlichen Gesang ist die verwendete anhemitonische pentatonische Tonleiter, in der die Halbtonschritte E zu F und H zu C fehlen. Diese kommt in unterschiedlich emotional gefärbten Modi zum Einsatz, die jeweils durch eine bestimmte Tonhöhe definiert sind. Frequenz, Verzierung und Nachdruck heben die verschiedenen Gefühlslagen noch stärker hervor. Charakteristisch ist ebenfalls die eher heisere Stimmqualität, insbesondere in den unteren Oktaven. Eine klare Stimme ist im Pansori nicht gefragt. Für die höheren Tonlagen kommt die Falsetttechnik zum Einsatz.

 

Seit den 1970er Jahren hat Pansori als koreanisches Kulturgut im Land seinen staatlich anerkannten Stellenwert, seit 2003 ist es auch offiziell bei der UNESCO als immaterielles Kulturerbe gelistet. 

 

 

 

 

Randnotiz: Gukgeuk

Gukgeuk ist nicht so bekannt und als koreanisches Kulturgut auch nicht besonders geschützt. Vielleicht weil es eine Tradition in der koreanischen Theaterkultur bezeichnet, die ausschließlich durch Frauen praktiziert wurde/wird? Zugegeben, eine steile These, aber sie drängt sich auf, denn in der Tat bezeichnet Gukgeuk reines Frauentheater für Musik- und Theaterperformance. Eine Kunstwelt, ein Theaterkunstschaffen, das ausschließlich im Frauenraum kreiert wurde. Dabei übernahmen die Frauen auch die Männerrollen.

 

In den Nachkriegsjahren war Gukgeuk in Südkorea überaus populär. Der Fankult stand dem heutigen Idol-Fankult in nichts nach. Davon ist heute nicht viel geblieben. Angefangen hat die Gukgeuk Theaterperformance als reines Frauentheater in den 1940er Jahren. In den 1950er und 1960er Jahren erreichte es seine Blüte. Doch dann folgte mit dem Aufkommen der Filmindustrie auch schon wieder der Niedergang, denn dort war für die versuchten Stars mehr zu verdienen und auch die Reichweite war größer.

 

Gukgeuk ist durch die traditionellen koreanischen, darbietenden Kunstformen und insbesondere das Pansori geprägt, vereint jedoch in eigenwilliger Weise Elemente aus Theater, Musik, Gesang und Tanz gleich einer Quintessenz. Im Gegensatz zur traditionellen koreanischen Oper (Changgeuk), in der Männer und Frauen auftreten, legt Gukgeuk einen größeren Schwerpunkt auf eine hohe Qualität auch der Schauspielkunst. Ausdruck, Anmut in der Bewegung, Mimik, das alles wird feiner und intensiver in die Performance integriert. Da kommt die reine Frauenproduktion ins Spiel. Eine tolle Stimme alleine ist beim Gukgeuk nicht entscheidend. Es ist vielmehr die Fähigkeit, sensibel und authentisch die Stimmung der Geschichte zu verkörpern, damit mit dem Publikum emotional in Resonanz zu gehen und es kompromisslos mitzureißen, aus ihrer Alltagswelt herauszukatapultieren und stattdessen hineinzuziehen in die Geschichte mit all ihren emotionalen Facetten.

Die Frauen wurden als Stars gefeiert. Sie wurden als Künstlerinnen gefeiert. Die Gukgeuk Künstlerinnen konnten sich damit auch einmal außerhalb ihrer Geschlechterrolle erfahren. Manche wurden dabei in ihrem Auftreten, in Sprache und Gebaren für die männlichen Rollen perfektioniert. Und die legten sie nicht zwangsläufig am Ende der Show ab, sondern lebten sie schon auch mal im Alltag weiter.

 

Von Gukgeuk ist nicht viel geblieben. Pansori, wie gesagt, wurde geschützt und als Kulturgut behütet, Gukgeuk nicht. Umso erfreulicher, dass "Jeongnyeon: The Star is Born" diese Kultur nun nach rund sechs Jahrzehnten noch einmal zum Leben erweckt, so dass die Menschen sich erinnern und damit auch die wenigen, übriggebliebenen, unerschütterlichen Frauen, die der Gukgeuk-Kultur bis ins hohe Alter treu geblieben sind, noch einmal Wertschätzung erfahren.

정년이 - Jeongnyeoni

Lit.: Jeongnyeon

 

2024, 12 Episoden

               

Hauptdarstellerinnen:

- Kim Tae-ri

- Shin Ye-eun

- Ra Mi-ran

- Jung Eun-chae

- Kim Yoon-hye

 

Plot:

Jeongnyeon hat die perfekte Stimme für Pansori. Sie wird in ihrem Heimatdorf vom Gukgeuk Star der männlichen Hauptrolle am Maeran Theater entdeckt. Tatsächlich schließt sie sich der Maeran Theatertruppe an und durchläuft deren Ausbildung gegen den Willen ihrer Mutter. 

 

Jeongnyeon hat sich viel vorgenommen und wirft alles in eine Zukunft als Gukgeuk Star. Doch die Konkurrenz ist groß und das Training hart. Außerdem ist sie dem Superstar der weiblichen Hauptrolle ein Dorn im Auge...

Druckversion | Sitemap
© Wörtertanz.com 2021-2024