Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

Past Lives

"Past Lives" ist eine US-Produktion. Sowohl die Autorin als auch die beiden ´koreanischen´ Hauptdarstellerinnen haben koreanische Wurzeln, sind jedoch NICHT in Korea aufgewachsen, beziehungsweise leben nicht dort. Die Story ist autobiografisch inspiriert und wird in drei Kapiteln in Form von authentisch anmutenden Dialogen einerseits und in ausgewählten, eindrücklichen Szeneneinstellungen gefühlvoll präsentiert. Thematisiert werden das Schicksalhafte an Begegnungen zwischen Menschen und die platonische Liebe. Die geradezu perfektionierte Ästhetisierung wurde mit Bedacht gewählt und spielt sozusagen mit. Das alles ist ganz wunderbar und wurde bereits vielfach reichlich gelobt. Und dafür ist der Kinofilm durchaus sehenswert.

 

Dieser Film präsentiert Südkorea und eine Haltung zu Südkorea aus den Augen eines südkoreanischen Mädchens, das mit 12 Jahren während der 1990er Jahre mit ihrer Familie ausgewandert ist und dann in Kanada aufwuchs, in New York als Bühnenautorin ihr Glück versuchte, einen US-Amerikaner heiratet, dadurch die Greencard erhielt, und bis heute als Schriftstellerin Anerkennung und Erfolg sucht. Ihre Karriere krönt sie jetzt symbolisch und real, indem sie ihre eigene, diffizile platonische, (unglückliche?) Liebesgeschichte zu ihrem koreanischen Schulfreund von früher niederschreibt (und verfilmt).

 

"Past Lives" taucht in die Gefühlswelt der Protagonist*innen ein und tut dies - wie ich finde insbesondere was die der beiden Männer angeht - sehr achtsam, gefühlvoll, reflektiert. Da werden zwei außerordentlich reife, feine junge Männer vorgestellt, hier wie dort. Das sieht man/frau selten.

"Past Lives" stellt jedoch auch zwei Welten eher dichotom wertend einander gegenüber. Dort das zurückgelassene Herkunftsland Südkorea - weit weg und eher im Hintergrund, in den Tarnfarben des Militärs und gerahmt von reichlich Soju. Das ´Koreanische´ kommt dabei auch sonst eher nicht so gut weg. 

Hier die USA - reduziert auf ein hochgradig stilisiertes, in schönes Licht und gewählte Farben getauchtes New York (und Künstler-Retreat auf Long-Island). Die USA werden in mehrfacher Hinsicht als alternativlos bessere Wahl dargestellt.

Wir erleben diese Welten eben durch die Augen der Protagonistin. In Noras Augen steht Südkorea für konservative Enge, Zwänge, Unfreiheit. Die USA hingegen für Kreativität, Freiheit, Schöpferkraft. Tatsächlich stellt sich dieses Weltbild jedoch im Verlauf der Geschichte auf den Kopf. Es sind einengende Bilder, beide, die so pauschal nicht stimmen. Darin steckt möglicherweise zugleich der dramaturgische Knackpunkt im Dilemma der Protagonistin Nora - und damit auch die emotionale Zwickmühle der Autorin. Diesem vielleicht weniger oft diskutierten Aspekt möchte ich hier etwas Raum geben.

 

 

Der koreanische Lifestyle wird als bieder gezeichnet, geprägt durch Noras Kindheitseindrücke der 1990er Jahre: Zwar war nach dem Ende der Diktatur politisch nun mehr möglich - unter anderem das Reisen - doch wirtschaftlich war das Land durch die Asienkrise gebeutelt. Die Eltern waren Künstler*innen und als solche sicherlich geprägt durch die verfolgte Demokratiebewegung der 1980er Jahre. Sie suchten ihr Heil in einem Neuanfang. Was bleibt in den Erinnerungen von Nora? Sehr vage Erinnerungen an die Schulzeit, an das, was zu Hause gesprochen wurde, an die plakativen Bilder, die sich daraus eindrücklich bis heute halten. Unterm Strich: ´Männer müssen zum Militärdienst.´ ´Die Menschen sind konservativ und bieder.´ ´Kinder leben bis zur Ehe unselbständig bei den Eltern.´  ´Man/frau kommt nicht von der Stelle.´

Dem gegenüber steht Nordamerika als die vielzitierte Welt der ungeahnten Möglichkeiten. Für Nora geht es dabei konkret und recht selektiv um die Welt der Künstler*innen-Szene. Dabei sehht im Mittelpunkt ein Zukunftstraum, den die ehrgeizige Tochter möglicherweise auch ein stückweit stellvertretend für ihre Eltern lebt. Und dieser Traum wird symbolhaft als ästhetisch abstrahiertes Abziehbild von New York und Montauk Künstler-Retreat eingefangen. Für die Protagonistin stehen die USA für die Erfüllung des Traums von international gefeierten Kritikerpreisen als Autorin. (Jetzt auch als Regisseurin...)

 

Für Nora sind die USA als Lebensmittelpunkt daher kompromisslos und praktisch nicht verhandelbar. Das ist ok und nachvollziehbar. Ihre Sicht auf Südkorea wiederum ist durch ihre eigenen Vorurteile (gegenüber dem heutigen Südkorea) und Sehnsüchte (in Bezug auf die USA) gefärbt. Dabei wurden ihre Gefühle für ihr Herkunftsland offenbar emotional nicht verarbeitet. Und das mag auch die Sicht der Zuschauer*innen prägen. Daher möchte ich mich hier stark machen für die Qualität des ´Koreanischen´, die selbst in "Past Lives" subtil, aber wirkungsvoll durchschimmert, auch wenn man/frau sie vielleicht in Anbetracht der dominierenden USA-Aura übersehen mag. Selbst wenn sich die Qualität des Koreanischen gegenüber den USA nach außen hin scheinbar nicht durchsetzen kann - in Form einer Entscheidung für die Jugendliebe - so ist es doch gleichsam ihr geschuldet (der Qualität des Koreanischen), dass Nora am Ende den Schlüssel zu ihrer emotionalen Freiheit in Händen hält. (Was auch immer sie damit nun weiter tun mag...)

 

Wenn man/frau sich nicht so stark mit Nora identifiziert, dann fällt es vielleicht leichter, dies zu erkennen. Hae Sung verkörpert eigentlich das Gegenteil von dem, was sich in Noras Kopf über Südkorea festgesetzt hat. Er steht für einen neuen Geist unter der jungen Generation - und dies, obwohl er Ingenieur ist. Doch sie sieht, was sie sehen will, reduziert ihn auf den Militärdienst, enge Familienbande, seine klar strukturierte Karriere und seine verhaltenen Antworten auf ihre Fragen in Bezug die Heirat oder besser Nicht-Heirat mit seiner Freundin.

Nora übersieht dabei, dass er in seinen halbherzigen Antworten bezüglich Ehe-Verantwortung vorsichtig auf Allgemeinplätze ausweicht, um sie nicht gleich mit seinen Gefühlen für sie zu überfordern. Er will sie nicht unter Druck setzen. Sie übersieht dabei, dass Hae Sung sehr wohl mutiger Schöpfer seiner Welt ist und dem Leben möglicherweise noch kreativer, offener gegenübertritt, als sie selbst es wagt. Er wählt ein Auslandsstudium in China, weil er es will und sinnvoll erachtet. Er arbeitet damit an seiner beruflichen Zukunft nicht weniger ehrgeizig als sie es tut. Dennoch ist er offen und bereit, alles auch völlig umzuwerfen. Sich einzulassen auf das, was zwischen ihm und Nora ist. Dabei eine logische, vernünftige Ehe mit der langjährigen Freundin lieber nicht einzugehen, bevor er sich seiner Gefühle für Nora nicht klar ist. Er nimmt ernst, was er fühlt. Geht dem nach. Überprüft es aufrichtig. Macht sich damit auch verletzlich. Er war es ja auch ursprünglich, der sich auf die Suche nach Nora gemacht hat. Er hat sein Leben mit beherzter Schöpferkraft selbst an die Hand genommen. Wenn, dann hat ER (lebenspraktisch gesehen) kreativ gedacht und mutig gehandelt. Nicht Nora, die gewissermaßen einfach ihr Programm abspult, ohne dabei groß nach rechst oder links zu schauen.

 

Hae Sung hat einiges hinterfragt, prozessiert, sich seinen Gefühlen gestellt. Sie nicht.

Damals, als sie das Südkorea verlassen hatte, hat sie ihre Gefühle einfach weggetan, sich einen neuen Namen überlegt, die neue Sprache gelernt und ihren besten Freund samt Korea einfach zurückgelassen wie ein altes Spielzeug. Ihre Gefühle für ihre alte Heimat schlummern nur noch unbewusst in ihren Träumen. In ihrem hochkonzentriert auf ihre Künstlerinnen-Karriere ausgerichteten Leben haben ihre Vergangenheit und Herkunft keinen gebührenden Platz erhalten. Da muss erst Hae Sung kommen, um die Tür in jenes vergessene Verlies ihres Herzens ein klein wenig zu öffnen.

 

Doch ob Nora diese ´Kleine´ in sich, die 12jährige Na Young, die sie damals einfach so alleine mit der Vergangenheit gelassen hatte, inzwischen an die heilsame Hand nehmen konnte, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass Hae Sung ihr die Chance auf Aussöhnung mit ihren Wurzeln und einem verborgenen, verschlossenen Teil in ihr eröffnet hat. Dass er ihr einen großen Liebesdienst erwiesen hat, indem er sie nicht vergessen hat, nicht locker gelassen hat, sie zu suchen; nicht locker gelassen hat, sie auch zu treffen; sie zu sehen; sie zu erkennen; sie an etwas zu erinnern, das sie selbst fast vergessen hätte; und sie letztlich in seiner koreanisch respektvollen Art auch wieder zu lassen. ...Selbst wenn es weh tut.

Eigentlich hat er ihr in seiner Art, in der Welt zu sein, vorgeführt, dass ihr Bild von Südkorea so nicht (mehr) stimmt. Die Erde hat sich auch dort gedreht und die Menschen mit ihnen. Einer eher dichotom geprägten, vernünftigen Lebenshaltung, wie sie ´das Nordamerikanische´ ausstrahlt - schwarz-weiß, gut-schlecht, Beziehung ja-nein, Trennung ja-nein, Liebe ja-nein etc. - setzt ´das Koreanische´ eine komplexe und zugleich fein nuancierte, eher emotional dominierte und dabei doch respektvolle Haltung gegenüber.

 

 

Im Mittelpunkt von "Past Lives" steht das Sondieren der Gefühle der Protagonist*innen füreinander. Sind sie echt? Immer noch? Platonisch vielleicht? Oder mehr als das? Und natürlich lebt die Story von dem Reiz des ´Was wäre gewesen wenn?´. Dieses vorsichtige Abtasten eines Raum des Möglichen wird ästhetisch, kultiviert, stilvoll aufbereitet. Respektvoll auch. Am Ende: Tränen. "Past Lives" eben.

 

Das Poetische in "Past Lives" - und damit das Reizvolle, das Anziehende an dieser Geschichte - wird (meiner Meinung nach) durch den durch und durch südkoreanisch geprägten Hae Sung erst möglich. Damit hat er Nora letztlich sogar den ersehnten künstlerischen Erfolg indirekt auf dem Silbertablett seines Herzens persönlich von Südkorea nach New York gebracht...

 

PPS:

Muss wohl das im Film viel zitierte ´In-yeon´ sein...

 

 

 

 

Randnotiz:

In-yeon = eine schicksalhafte, karmisch geprägte Beziehung

Past Lives

 

2023, 106 Minuten

 

Hauptdarsteller*innen:
-Greta Lee
-Teo Yoo
-John Magaro

 

Plot:

Na-young und Hae-sung gehen in Seoul auf die Grundschule. Sie mögen sich. Sie sind beide gut in der Schule und beste Freunde. Doch Na-youngs Familie will nach Kanada auswandern. Na-youngs Freundschaft mit Hae-sung findet dadurch ein jähes Ende.

 

Die inzwischen 24jährige Na-young heißt nun Nora und arbeitet ehrgeizig an ihrem Traum, als Autorin international erfolgreich zu werden. Dafür studiert und lebt sie jetzt in New York. Hae-sung studiert Ingenieurwissenschaft in Seoul. Er hat Nora nicht vergessen und aktiv über Soziale Medien die Suche eingeläutet. Ihre Wege kreuzen sich so zumindest im virtuellen Raum nach all der Zeit wieder und die Freundschaft flammt über Skype neu auf. Allerdings unterscheiden sich die Lebensentwürfe und anstelle eines Wiedersehens begibt sich Nora lieber ins Künstler-Retreat, während Hae-sung für eine Zeit nach China geht, um die Sprache zu lernen.

Nora lernt im Retreat einen anderen Schriftsteller kennen. Hae-sung findet in China eine Freundin.

 

Nora heiratet. Hae-sung nicht. Stattdessen möchte er, inzwischen 36 Jahre alt, sie in New York persönlich besuchen. Dabei erlebt er sie in ihrer Wahlheimat und lernt auch ihren Ehemann kennen...

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