Unterwegs im Koreanischen
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KDrama nach Themen: Bildung & Arbeitswelt

Divorce Attorney Shin

"Divorce Attorney Shin" ist von der selben Drehbuchautorin wie "Thirty Nine", "Always" und "Encounter" - Yoo Young-ah. Im Fall des "Divorce Attorney Shin" kann die Autorin ihre Stärke mal wieder besonders gut ausspielen: lebensnahe, sensible Porträts und Freundschafts- bzw. Beziehungsdynamiken mit reichlich Zeitkolorit von relativ normalen Menschen und ihren alltäglichen Lebenswelten zu zeichnen. In "Divorce Attorney Shin" gelingt es ihr (wie ich finde) sogar noch besser, als zuletzt in "Thirty Nine", authentische, lebensechte Charaktere und Freundschaften mit Leben zu füllen (im Übrigen auch dank wunderbaren Mimen). In diesem Fall mit auch mal ein bisschen schrägen, aber liebevollen Details. Mit charakterstarkem Esprit. Unaufgeregt. Das ist hier und da eine echte Freude fürs Herz. Fast schon Seelennahrung. (Zugrunde liegt diesem KDrama das gleichnamige Webtoon von Kang Tae-kyung.)

 

"Divorce Attorney Shin" erzählt Geschichten aus dem brandaktuellen südkoreanischen Alltag vieler Menschen, in dem es zunehmend um Scheidung geht. Die Scheidungszahlen im Land gehen derzeit durch die Decke. Das Thema wird geradezu zum ganz normalen Wahnsinn. Als solches versteht dies auch das KDrama. Scheidung ist normal. Nicht schön. Nicht wünschenswert. Nicht ursprünglich beabsichtigt. Aber oftmals als nächster Schritt nicht zu vermeiden. Und manchmal eben vielleicht schon...

(Ein bisschen augezwinkernd: der Titel. Anwalt Shin´s Name "Shin Seong-han" bedeutet im Koreanischen wörtlich "heilig". Somit wird sein Namensschild "Shin Seong-han, Scheidung" zum provokativen Wortspiel. Anwalt Shin ist gleichsam der Mann für alle Fälle, wenn der ´heilige Stand der Ehe´ ins Wanken geraten ist...)

 

Einer solch folgeschweren Entscheidung (mit der immer auch ein bisschen der Beigeschmack von Scham und Scheitern einher geht, was es emotional zu verdauen gilt) liegen vielerlei Gründe und Umstände zugrunde. Einige davon werden hier exemplarisch an verschiedenen Fällen durchexerziert. Sie schlängeln sich um die Rahmengeschichte, in deren Mittelpunkt insbesondere drei Freunde aus der Schulzeit stehen - allen voran jedoch Scheidungsanwalt Shin Sung-han. Wiederkehrender Schauplatz ist dabei oftmals das kleine, aber fein gezeichnete Retro-Anwaltsbüro mit schon mal klemmender Holzschiebetür, die einer/m schnell ans Herz wächst. Außerdem die Wohnung von Shin mit Hi-Fi im Retrostyle, in der er seine Feierabende mit lauter Trot-Musik verbringt, bevorzugt selbst dazu singend und Soju aus dem Weinglas trinkend. Und dann das kleine Ramyeon-Restaurant um die Ecke der Kanzlei. Hinzu gesellt sich die spezielle Beziehung zwischen Shin und einer Klientin, die sich letztlich zum Kanzleiteam gesellt. Und dann ist da seine eigene Vergangenheit als begabter Pianist und was da so dran hängt, dass er es nicht mehr ist.

 

Ein großes Lob an die vielschichtigen Nuancen, mit denen das komplexe Umfeld gezeichnet wird, in die Scheidung meist eingebettet ist. Keine Scheidung ist wie die andere. Doch meist tut Scheiden weh oder es hat davor weh getan und deswegen dazu geführt. "Divorce Attorney Shin" streift im Verlauf der 12 Episoden eine vielschichtige Auswahl an Hintergründen und Auslösern, an kurzfristigen kritischen Umständen und langfristigen Auswirkungen, an emotionalem Leid und emotionalen Chancen, an ökonomischen Ketten und Hoffnungen, an sozialen Brandmalen und gesellschaftlichen Vorurteilen, und dann auch an Selbstzweifeln, sowie an Kollateralschäden und Opfern. Dabei sind nicht immer nur ´die anderen´ davon betroffen, sondern das Thema Scheidung rückt in seiner Umstrittenheit ganz nah an fast sämtliche Protagonist*innen heran. JTBC greift mit dem KDrama ein heißes soziales Eisen an.

 

"Divorce Attorney Shin" bietet das alles eingebettet in eine Variation von Slice-of-Life. Gemächlich, gemütlich und genüsslich - und damit verdaulich. Es ´menschelt´. Aber harmlos ist das alles deswegen nicht. Es gibt dabei reichlich Law-and-Order mit übergreifendem Spannungsbogen. Das ist einerseits das berufliche Talent unseres Protagonisten - wenn auch nicht sein einziges. Da ist andererseits seine eigene, durch Trennungsschmerz und Scheidung gezeichnete Familiengeschichte, die überraschend neu angestachelt wird. Die dramaturgische Dynamik der Geschichte nimmt darüber zunehmend an Fahrt auf und steuert letztlich unaufhaltsam auf Shins ganz persönlichen Showdown zu, wo nicht mit Pistolen, Schnellfeuerwaffen oder Fäusten, sondern nach dem Gesetz, mit Beweisen und im besten Fall auch mit Augenmaß, Herz und Verstand um Gerechtigkeit gefochten wird.

 

Ich meine, die Story findet auf sämtlichen Ebenen eine ausgesprochen feine Nuancierung, die über die Zeit immer tiefer gehende Wirkung zeigt. Subtil, aber nachhaltig. Ich würde (keine Pauken, sondern) ein Koshi Klangspiel assoziieren - je nach Thema und Episode mal mehr in der Klangfarbe Wasser, mal mehr in der Klangfarbe Luft, mal mehr in der Klangfarbe Feuer, und mal mehr in der Klangfarbe Erde... Die stimmig und rund erzählte Geschichte entfaltet ihre ganz eigene Qualität - und in diesem Kontext eine sehr hohe.

 

Prädikat "wertvoll".

 

 

 

 

Randnotiz zu  Trot 

KPop ist eine neue Erscheinung in der koreanischen Musikgeschichte und mittlerweile wohl den meisten auch Nicht-KDrama Fans ein Begriff. ´Trot´ jedoch wohl weniger. Doch Achtung: Vielleicht gibt es in nicht zu fernen Zukunft auch einen KTrot, wer weiß...

 

´Trot´ ist eine Musikrichtung, die im Verlauf der 1990er Jahre durch Dancepop verdrängt wurde. Nachdem die Zensur aufgehoben war, folgte die wachsende Auseinandersetzung mit der internationalen Musikszene, insbesondere mit J-Pop aus Japan, sowie Hip-Hip und Rap aus den USA. Die systematische Kultivierung der ausgewählt ´schönen´ und intensiv auf Performance trainierten, hochgradig inszenierten Idol-Gruppen erwirtschaftete sich als eigenes Genre in den vergangenen 20 Jahren weltweit einen echten kulturellen Exportschlager: KPop.

 

Davor jedoch dominierte ´Trot´ die koreanische Musikszene - als die frühste Form von Popmusik auf der Halbinsel. Das ist weniger bekannt, erfährt jedoch in den vergangenen Jahren einen enormen Aufwind im eigenen Land, der das Genre nun auch über die Landesgrenzen hinausträgt. In "Divorce Attorney Shin" ist mehrfach einer der Hits eingespielt, der 2020 auf der CD "9 Geschichten" von Trot-Altmeister Na Hoon-a brandneu herauskam. Der 72jährige landete damit einen derartigen Hit, dass das Youtube Video dazu mit 25 Mio. Views sogar die KPop-Superstars BTS und Blackprint zeitweilig auf ihre Plätze verwies. Die koreanischen Kulturexport-Strategen sind schlau und schnell. Prompt findet der Song mit "Divorce Attorney Shin" nun auch seinen wohlinszenierten Platz im passenden KDrama, das über die Netflix-Streamingplatform auch den direkten Weg zum internationalen Publikum einschlägt.

 

´Trot´ ist sehr auf koreanischem Boden gewachsen und durchaus Retro in seinem aus dem Standard-Tanz stammenden Foxtrott- und Slowtrott-Beat. ´Trot´ geht auf die Zeit während der japanischen Kolonialzeit und den Import des ´Enka´ zurück,  mischte sich damals mit den  (zumindest für mich oftmals an Flamenco erinnernden) volkstümlichen, epischen Klageliedern, dem ´Pansori´, sowie der traditionellen ästhetisch harmonischen, lyrischen Gedichtform Siga. Aufgrund der mit dem japanischen ´Enka´ verstrickten Wurzeln fiel ´Trot´ jedoch ab den 1960ern unter die Zensur und drang erst in den 80ern wieder an die Oberfläche. Der neu angesagte KPop drängte ´Trot´ jedoch in den Hintergrund. Erst jetzt, wo KPop fest etabliert ist, eröffnet sich offenbar wieder Interesse und Platz für etwas ´neues´, identitätsstiftend Traditionelles. Einerseits mag dem Trot etwas Altbackenes anhaften, da die Jugendlichen das eher von ihren Großeltern kennen. Andererseits triggert die Musik eine national verwurzelte, melodramatische Emotionalität... gut möglich, dass sich im Verlauf der kommenden Jahre auch eine zeitgemäße, neue Variation von international angesagtem KTrot entwickelt. Zumindest ist der Trot nicht erst - aber auch - durch "Divorce Attorney Shin" wiederentdeckt...

신성한, 이혼 - Sinseonghan, ihon
Lit.: Shin Seong-han, Scheidung. (Wahlweise: Heilig, Scheidung.)
 

Hauptdarsteller*innen:

- Cho Seung-woo
- Han Hye-jin
- Kim Sung-kyun
- Jung Moon-sung

 

Plot:

Shin Seong-han ist Anwalt in Scheidungsfragen. Bis vor wenigen Jahren war er noch ein talentierter Pianist, doch seit dem Tod seiner Schwester spielt er nicht mehr. Stattdessen studierte er Jura und entwickelte dabei sein Talent, knifflige Scheidungsfragen zu lösen. In seiner kleinen, unbedeutenden, aber effizienten Kanzlei bearbeitet er mit seinen Angestellten, zugleich gute Freund*innen, in aller Ruhe die wenigen Fälle, die sich zu ihm verirren. Doch die Vergangenheit lässt sich nicht so einfach abschütteln. Zielstrebig bahnt sie sich ihren Weg in seine kleine, heile Welt und fordert ihn heraus.

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