Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

KDrama nach Themen

Rom(ance) +/- Com(edy)

Frauenfeindlichkeit - ein trauriges Kapitel im Südkoreanischen

Der Themenschwerpunkt Romantik und wahre Liebe im KDrama bekommt in Hinblick auf die südkoreanische Alltagswelt eine ganz neue Bedeutung. Die wenigsten Menschen haben während ihres Berufslebens wirklich Zeit für eine Beziehung. Die Arbeitstage sind lang. Hinzu kommt, dass Frauen im Job diskriminiert, sexualisiert und auf ihre Geschlechterrolle reduziert werden. Sie arbeiten mehr (und oft effizienter) als ihre männlichen Kollegen, werden aber schlechter bezahlt und eher nicht befördert, da sie ja bestimmt bald schwanger werden. Wenn sie wirklich schwanger werden, dann war es das mit dem Berufsleben. Eine Kinderbetreuung für 70-80 Stundenwochen (mit Anfahrt und Firmenessen) ist kaum zu bezahlen. Auf flexible Arbeitszeiten muss frau beim Arbeitgeber nicht hoffen. So landen Frauen mit Kindern zwangsläufig am Herd. Wiedereinstieg in den Beruf kann frau vergessen. Da hilft auch ein Doktortitel nichts. 

 

Frauen haben schon in den Familien als Tochter einen schweren Stand - zumal wenn es nicht auch einen Sohn gibt. Und das geht dann so weiter. Wenn sie verheiratet sind, dann haben sie zuallererst die Älteren zu entlasten - in beiden Familien. ...Und für die Kinder zu sorgen - deren berufliche Zukunft und Erfolg zum Ruhme der Familie sicherzustellen.

 

Männer hingegen sind von den Familien als Sohn von Anfang an gefeiert. Dementsprechend selbstbewusst präsentieren sie sich in der Öffentlichkeit und treten dabei eher als Macho auf. Es ist keine Seltenheit, dass sie schon mal in aller Öffentlichkeit laut und unverschämt über das Aussehen von Frauen im Coffeeshop oder Restaurant oder Geschäft oder bei der Arbeit lästern. Das Aussehen der Frauen kann nicht nur über den Partner, sondern auch über die Anstellung entscheiden.

 

Die Zahl der Frauen, die in Südkorea aufgrund ihres Geschlechts Gewalt erfahren, ist eindeutig zu hoch. Mehr Frauen als Männer sterben in Südkorea durch Totschlag, einfach weil sie eine Frau sind. Das ist ansonsten im weltweiten Vergleich nur in Japan und Lettland ähnlich schlimm. Es gibt kaum eine junge Frau, die nicht schon einmal in  ihrem Leben Gewalt erfahren hat, einfach weil sie eine Frau ist. Ansonsten, in anderen Delikten, sind die Kriminalitätsraten des Landes vergleichsweise niedrig. 

 

Während der Olympiade 2021 in Japan gewann An San für Südkorea zwei Goldmedaillen im Bogenschießen. Doch aus ihrem eigenen Land hagelte es reichlich Kritik - von einer Liga frauenfeindlicher, ausdrücklich antifeministischer Männer, die in den sozialen Medien Stimmung gegen An San machen, schlicht weil sie in ihren Augen die Haare zu kurz geschnitten hat. Männer die Frauen totschlagen, oder auch nur Männer, die sich über den Haarschnitt offen monieren - das macht keine Lust auf Südkorea.

 

Die Schikanen und Diskriminierungen, die Frauen durch Männer erleben, machen wütend. Die Faust in der Tasche muss auf den Tisch. Die Tendenz geht auch dahin. Frauen geben sich zunehmend eine Stimme. Auch wenn sie noch leise ist, so verschafft sie sich doch immer häufiger Gehör. (Beispielsweise gab es reichlich Solidaritätsbekundungen für die o.g. Bogenschützin.) Hinzu kommt: Frauen schreiben und erzählen über ihre Wirklichkeit. Das Buch „Kim Jiyoung, geboren 1982" (Cho Nam-Joo), in dem die Autorin relativ nüchtern das Leben als zweite Tochter eines Ehepaars der Arbeiter*innenklasse nacherzählt, knackte in Südkorea die Millionenmarke im Verkauf und gilt als das auch noch im Folgejahr nach Erscheinen am meisten ausgeliehene Buch in Südkorea. 2019 wurde es als KMovie verfilmt, 2020 kam es in die Kinos. Nach bereits fünf Tagen wurden 1 Million Besucher*innen gezählt. Nach 11 Tagen waren es 2 Millionen und nach nicht einmal 3 Wochen schon 3 Millionen Südkoreaner*innen (davon ca. 68 Prozent Frauen). Zudem wurde die Verfilmung mit zahlreichen Preisen gewürdigt.

 

So wie sich viele Frauen in diesem Buch/Film gesehen fühlten, waren viele Männer darüber erbost. Frauen im öffentlichen Leben, die sich offen zu dem Buch äußerten und dafür warben, mussten sich von ihre männlichen Fans in den sozialen Medien einiges anhören. Diese Tendenz nimmt leider auch zu. Die konservative Oppositionspartei wählte erst im Juni 2021 einen 36 Jahre jungen Parteipräsidenten, der sich immer mal als Sprachrohr eben jener "antifeministischen Männer" gebärdet. Macho Männer, die selbstbewusste Frauen unterdrücken wollen, sind ein Problem für die südkoreanischen Frauen. 

Die Sehnsucht nach einer anderen Wirklichkeit? Revolution!

Wie passt das dann, dass KDramen im Rahmen der KWave allem voran für romantische Liebesbeziehungen stehen? Die erzählen von respektvollen Männern, wie frau sie sich allenfalls wünschen würde. Von selbstbewussten Frauen, die der Welt mit dem, wie sie leben, die Stirn bieten.

 

Die Drehbücher für KDramen schreiben meistens Frauen. Und sie schreiben meist für Frauen, die ja den größten Teil der Zuschauer*innen ausmachen. Frauen schreiben und wünschen sich eine neue Wirklichkeit herbei. Frauen schreiben sich Mut zu, dass sie ein Recht haben, von einer anderen Wirklichkeit zu träumen. Vor diesem Hintergrund werden KDramen zu einem schöpferischen Werkzeug, mit dem sich die Mentalität und das Selbstverständnis unter den südkoreanischen Frauen parallel zu den gesellschaftlichen Gepflogenheiten neu erfinden will.

 

In fast jedem KDrama kommt irgendwie eine Liebesbeziehung vor, auch wenn es einige Ausnahmen für diese Regel gibt. Und stets sind die Protagonist*innen dabei Männer oder Frauen, die einem neuen Rollenverständnis entsprechen: Die Frauen stehen weitgehend selbstbewusst und tough in ihrem Leben, sind klar und kompetent in ihrem Auftreten. Die Männer sind sensibel, fürsorglich, unterstützend und rücksichtsvoll. Respekt prägt dabei Beziehungen zwischen Mann und Frau - oder sie lernen diese Haltung im Prozess.

(Dies wird zwar meist als auch als kulturbedingt tugendhaft erklärt - ist es wohl auch - aber in diesem Zusammenhang musss oder darf frau das auch als "zukunftsweisend respektvoll miteinander" deuten.)

 

Natürlich ist die Welt immer noch so wie sie ist - auch im KDrama. Aus manchem Korsett schaffen es selbst die Protagonist*innen noch selten heraus: immer schön hübsch hergerichtet, auch die Männer. Immer erst mal verschämt, wenn man/frau sich in der Beziehung als Mann oder Frau wahrnimmt. Dennoch ist es erstaunlich, wie offen selbstbewusst die neuen Rollenmodelle vorgelebt werden (dürfen). Klar, es verkauft sich gut, das ist selbst für konservative Produzent*innen ein gutes Argument. Aber klar ist auch, dass diese Rollenmodelle zu Vorbildern werden (können). Und je bestärkter sich die Frauen darüber fühlen und in diesem Verständnis untereinander vernetzen, desto mehr gerät die Welt der Männer ins Wanken. Jetzt schon: die Geburtenrate ist im steilen Sinkflug. Nirgendwo sonst auf der Welt entscheiden sich die Frauen so konsequent gegen das Kinderkriegen, wie in Südkorea. Das fängt für viele schon viel früher an: Die "4B", die 4xNein-Bewegung, nimmt an Fahrt auf. Die Frauen sagen dabei 4x "Nein!" - zu Beziehungen, Sex, Kindern, und Ehe. Zuerst zu Beziehungen, denn Beziehungen münden in Sex, der in Kinder und die wiederum ggf. in eine Ehe. Also wollen Frauen schon gleich gar keine Beziehung (für die sie ohnehin kaum Zeit haben und in Anbetracht der Machomänner zudem keine Lust). Dies ist der Anfang vom Ende der patriarchalen Strukturen, denn so wird die Bevölkerung bald schon schrumpfen und dann gibt es irgendwann keine Patriarchen mehr. Um die zunehmende Zahl der 4B-Frauen in ihrer Radikalität umzustimmen, muss sich einiges in der Gesellschaft ändern - allem voran die Frauenfeindlichkeit, angefangen mit einer geringschätzigen Haltung bis hin zur offener Gewalt gegenüber den Frauen.

 

Und so ist die Rom+/-Com plötzlich keine "Schnulze" mehr, sondern eine raffinierte Revolution, die ´Undercover´ geführt wird: Rom+/-Com als Manifest für einen schleichenden und äußerst wirkungsvollen Widerstand! Frauen aller Länder, träumt eure Wirklichkeit neu. Es fängt mit dem Wünschen und Wollen an... 

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