Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

KDrama nach Themen: Crime & Politics

Trolley

"Trolley" läuft zwar zeitnah bei Netflix, ist jedoch eine SBS TV-Produktion. 

 

Man/frau könnte sagen, dass es um die Frau eines Politikers geht, die von ihrer emotional belastenden Vergangenheit eingeholt und einer äußerst unerfreulichen Gegenwart überholt wird. Man/frau könnte sagen, dass es um einen ambitionierten Politiker mit vielversprechender Karriere geht, der mitten im Wahlkampf steckt, und dafür alles gibt. Man/frau könnte sagen, dass es um das klassische moralische Trolley-Dilemma geht, das sich wie ein Leitmotiv durch die Geschichte zieht - soll man/frau in das unaufhaltsame katastrophale Geschehen eingreifen und dabei ein Menschenleben opfern, oder den Dingen ihren Lauf lassen, die dann jedoch (im Falle des Trolley-Dilemmas) mehrere Opfer fordern werden?  

In Hinblick auf jeden dieser Aspekte liefert die Story Spannung, Tiefgang und emotionale Intensität, angereichert mit vielschichtigen Details bis zum Ende.

 

"Trolley" ist wie ein großer Flickenteppich, der aus vielen bunten, vereinzelten schicksalhaften Puzzlestücken zu einem Episode für Episode sich an Spannung steigernden Ganzen wird. Und dieses spektakuläre Ganze ist das, was ich an diesem KDrama besonders schätze. Denn damit widmet sich die Produktion behutsam, liebevoll und raffiniert einem heiklen Gesellschaftsthema, an dem in Südkorea gerne vorbeigeschaut wird: Die Abwertung, Schikanierung, Unterdrückung,  Geringschätzung, Verachtung, Diskreditierung, Diffamierung, Ausbeutung, Sexualisierung von Frauen und weit verbreitete körperlicher Gewalt an ihnen.

 

Das KDrama artikuliert einen leisen Schrei, der nach Veränderung ruft. Die längste Zeit war es eher ein stummer Schrei, der nun eine Stimme will. Der Schrei will gehört werden. Aus einer Stimme sollen viele werden. Frauen (und Missbrauchsopfer generell) schützende Gesetze wären schön und gut. Doch mehr noch (und vor allen Dingen) bedarf es greifbarer, mutiger Modelle an Frauen (und Männer), die voran gehen. (Oder KDramen und der Frauen darin...) Modelle, die erhobenen Hauptes für sich, für ihr Leben, für das, was ihnen widerfahren ist, und für ihr Recht als Mensch selbst einstehen. Menschen, die verkörpern, was (diesen dringend erforderlichen) Gesetzen eigentlich zu Grunde liegt: Die nicht zur Diskussion stehende Würde, die jedem Menschen unabhängig von Geschlecht, Glaube, Geburt und Vermögen eigen ist. Leere Paragraphen alleine reichen nicht. Sie müssen mit Leben gefüllt werden. Mit Menschen, die sich erhobenen Hauptes herauswagen aus dem vertrauten Sumpf. Und das ist im Südkorea 2023 (für Frauen) immer noch einfacher gesagt als getan. (Also, insbesondere das mit dem erhobenen Haupt...) Das verkörpert "Trolley" auf eindrückliche Weise. Allerdings ist das mehr als überfällig. Auch diese Botschaft platziert diese TV-Produktion mit einiger Wucht. Möge sie ankommen... bei den Frauen, bei den Jugendlichen, bei den Männern auch.

 

Doch nicht auf einen oder ´den´ Mann richtet sich das Scheinwerferlicht, sondern auf die Gesellschaft als Ganze, in der die Frauen strukturell gut funktionieren, in der sie ja selbst mitmachen - als Mütter, als Mitschülerinnen, als Teil einer mobbenden, über Öffentliche und Soziale Medien leicht zu manipulierende Masse. So tief sitzt der giftige soziale Stachel, dass ein Frauenleben ohne dieses systematisch gezüchtete, minderwertige Lebensgefühl gar nicht vorstellbar zu sein scheint. Dass die Umstände nicht einmal ernsthaft in Frage gestellt werden, weil: es ist eben so...

 

Praktisch jede der hier vorgestellten Frauen aller Schichten haben einen durch private und öffentliche Abwertung oder gar körperliche Gewalt zutiefst verletzten, verunsicherten Selbstwert. Sie haben alle irgendwie damit zu leben gelernt. Sie sind angeschlagen, verwundet und vernarbt, leiden bis ins hohe Alter an ihrem Minderwertigkeitsgefühl, das sie schwächt. Das schlimmste dabei: dass sie bis heute damit alleine da stehen, weil ihnen ihr Leid und ihren berechtigten Ärger keine/r wirklich anerkennen will. Sie haben damit leben lernen müssen, dass es für sie und ihr traumatische Erfahrung der Schikanierung keine Zeug*innen, keinen Zuspruch, keine Zuwendung, keinen Trost gibt. Die gesellschaftliche Botschaft: Sie haben es nicht anders verdient. Das ist nun mal ihr Schicksal als Frau. Die Devise lautet gewissermaßen: ´Gefügig, leise, zahm und still darf doch jede machen was sie will.´ So ist das Schicksal als Tochter. Als ungewollte Tochter. Als erste Tochter. Als Schwiegertochter. Als Ehefrau. Als geschiedene Frau. Als uneheliche Mutter. Damit ist tief in diesen Frauen etwas geblieben: so dass sie entweder sich selbst heimlich still und leise abwerten und in Frage stellen, wahlweise stellvertretend andere abwerten, oder sich aus Prinzip von anderen abwerten lassen. Diese schmerzliche Erfahrung ist eben bis heute nicht erlöst. Soll auch (aus gesellschaftlicher Sicht von manchen) gar nicht erlöst werden. Es ist das tief eingebrannte, doch unsichtbare Zeichen, mit dem die südkoreanische Gesellschaft ihre Frauen brandmarkt. Mit "Trolley" wird es sichtbar gemacht. Auf mehrfache Weise. Es wird sogar an Veränderungsmöglichkeiten gearbeitet. Und auch die Schwierigkeiten dabei werden ausgelotet.

 

Respekt. Ein starkes Gesellschaftsporträt, raffiniert aufbereitet und ernsthaft, doch zugleich unterhaltsam spannend präsentiert. Das KDrama trifft einen brandaktuellen Zeitgeist, der Veränderung will. Es fordert beherzt die konservative, patriarchale Grundhaltung heraus, die Frauen wie selbstverständlich abspricht, vollwertige Menschen mit denselben Rechten zu sein. Im Verlauf des letzten Jahres kochte das Blut im Land stark hoch, nachdem Präsident Yoon ´strukturellen Sexismus´ als in Südkorea nicht mehr existent erklärte und das Ministerium für Gleichstellung und Familie abschaffen (beziehungsweise auf andere Ressorts verteilen) will. "Trolley" ist in diesen Zeiten (siehe dazu auch die Randnotiz weiter unten) somit ein mutige und wichtige Produktion, denn sie erzählt eine andere Geschichte - die der abgewerteten, sexualisierten, missbrauchten Frauen in einer selbstgefälligen Männerwelt. Prädikat "wertvoll".

 

 

 

 

 

Randnotiz:

Stets brennend aktuell: Gewalt an Frauen in Südkorea

Wenn man/frau die Statistiken in Bezug auf Gewaltverbrechen in Deutschland und Südkorea vergleicht, ist Südkorea eindeutig das sicherere Land. Seoul ist wohl eine der sichersten Städte der Welt. Doch nicht für Frauen.  


Im Ganzen mag sich Gewalt in Südkorea in Grenzen halten. Doch gegen Frauen ist sie erschreckend  weit verbreitet. Von jenen Gewaltverbrechen, die in Südkorea erfasst werden, sind ca. 80 Prozent der Opfer Frauen. Unter 100.000 Einwohner*innen in Südkorea wurden 2020 mehr als 58 Vorfälle von sexueller Gewalt inklusive Vergewaltigungen erfasst. (12 waren es zum Vergleich in Deutschland). Fast wöchentlich gab es in den letzten Jahren  Zeitungsberichte von brutalen Femiziden. 57,8 Prozent der Frauen (!) gaben im Rahmen einer nationalen Umfrage des Ministerium für Geschlechtergleichstellung und Familie im Sommer 2021 an (da gab es das Ministerium noch), dass sie sich durch frauenfeindliche Gewalt bedroht fühlen. 

 

Doch die aktuelle politische Linie ist eine andere. Präsident Yoon steht für die Werte der sogenannten „Neuen Männer-Solidarität“. Dahinter steckt ein zutiefst patriarchales, konservatives Denken, das Frauen abspricht, vollwertige Menschen mit denselben Rechten zu sein. Dementsprechend geht die offizielle Linie eher rückwärts: die Strafen für (falsche) Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe werden erhöht und die Politiker argumentieren vielmehr mit klassischer Täter-Opfer-Umkehr: die Frauen provozierten die Männer, indem sie nicht das tun würden, was sie (die Männer) von ihnen wollen.

 

Gerichte urteilen selten im Sinne der Frauen. Im Gegenteil. Es kann darauf rauslaufen, dass Opfer sexueller Gewalt härter bestraft werden als die Täter. Das Gesetz gegen Verleumdung von Sexualdelikten ist weit strenger als das bzgl. der Sexualdelikte. Es ermöglicht, die Opfer sexueller Gewalt auch dann mit bis zu 3 Jahren Gefängnis zu verurteilen, wenn erwiesen ist, dass ihre öffentlich bekannt gemachten Vorwürfe der Wahrheit entsprechen.

Bei den Sexualdelikten selbst wiederum fallen die Urteile gegen Täter meist eher gnädig aus, mit mildem Strafmaß bei Verbrechen gegen Frauen, sobald es die eine oder andere abschwächende Begründung oder einen unbescholtenen, guten Ruf gibt. Laxe Ermittlungen und retraumatisierendes Verhalten gegenüber weiblichen Opfern in Polizei- und Justizbehörden kommen erschwerend hinzu. 

 

Alles in Allem ist es für Frauen sehr schwer, sich gegen die erlebte Gewalt effektiv zur Wehr zu setzen. Gegenwind weht praktisch von überall her. Da sind wir wieder bei der zutiefst patriarchalen, konservativen Grundhaltung einer Gesellschaft, die Frauen mit größter Selbstverständlichkeit abspricht, vollwertigen Menschen mit denselben Rechten zu sein. Diese ´Selbstverständlichkeit´ gilt es, zu hinterfragen und zu konfrontieren.  Widerstand gelingt am besten, wenn frau sich zusammenschließt und zumindest schon einmal damit anfängt, mit dieser strukturellen gegenseitigen Abwertung untereinander aufzuhören. Dafür benötigt frau keine Gesetze. Sich gegenseitig unterstützen, das Unrecht als solches anerkennen, Trost und Mitgefühl, wären wohltuende Salben auf den Wunden zahlloser Frauen, die so besser heilen könnten. 

 

 

 

Und noch einer weitere Randnotiz am Rande:

K-jangneo - die Pflichten der ältesten Tochter in Südkorea

Die älteste Tochter in Südkorea zu sein, impliziert ein klar vorgegebenes, gleichsam vom Himmel gefallenes, unverrückbares Schicksal: Aufopferung für die anderen.

Es gibt sogar einen eigenen Begriff: K-jangneo! Die älteste Tochter ist dementsprechend der ´Grundstein´ der Familie. Das bedeutet, sie hat sich selbstverständlich für alle anderen mit ihren eigenen Bedürfnissen zurückzunehmen. Sie muss nicht nur der Mutter im Haushalt helfen, sondern auch (meist ungelernt) Geld ranschaffen für die Ausbildung der Geschwister und auch den Schwiegereltern stets zur Verfügung stehen... K-jangneo war/ist sozusagen gleichbedeutend mit inkarnierte Unterwerfung. K-jangneo ist dabei nicht etwa anerkennend gemeint, sondern als Appell. Würdigung und Wertschätzung gibt es dafür keine. Es ist schlicht selbstverständlich.

 

Aufopferung einerseits und dabei statt Dank eher Diskriminierung sind die Regel im Leben einer südkoreanischen Frau, nicht nur der Ältesten unter Geschwistern. Es ist nie genug, es müsste immer noch mehr sein. Das kann man/frau auch in manch top aktuellem KDrama bis heute erleben. Traurig, dass diese strukturelle Ausbeutung, bzw. diese unterstellte selbstverständliche Verantwortung unter Frauen als ´normal´ hingenommen und toleriert wird. Da ändert sich zwar langsam etwas, aber sehr zäh nur. Eine aktuelle Tendenz: Familien haben, wenn überhaupt, nur noch ein Kind. So löst sich DIESES Problem fast von allein, allerdings die strukturelle Geringschätzung des weiblichen Geschlechts, die Unterdrückung am Arbeitsplatz, die Sexualisierung, die körperliche Gewalt nicht. 

트롤리 - Teurolli

Lit.: Trolley

 

2022, 16 Episoden

 

Hauptdarsteller*innen:
-Kim Hyun-joo
-Park Hee-soon 
-Kim Mu-yeol 
-Jung Soo-bin 
-Seo Jeong-yeon 

 

Plot:

Kim Hye-joo ist mit dem Abgeordneten der Nationalversammlung Nam Joong-do verheiratet. Der steckt mitten im Wahlkampf für seine Wiederwahl. Und langfristig möchte er sogar noch weiter auf der politischen Karriereleiter. Hye-joo hält sich aus seinem politischen Leben jedoch schon immer konsequent raus. Sie repariert alte Bücher und kümmert sich um ihre Tochter sowie ihren Stiefsohn und Hyun Yeo-jin, die ihr inzwischen Wahlfamilie ist. Allerdings ist Joong-dos Sohn aus erster Ehe das schwarze Schaf der Familie und wird gerade aus dem Gefängnis entlassen... Kaum auf freiem Fuß, wird er tot im Fluss gefunden. Mit Drogen in der Tasche. Kurz darauf steht eine junge Frau vor der Tür, die behauptet, von eben jenem Sohn schwanger zu sein. Erstmals mischt sich nun Hye-joo aktiv ein und stellt sich gegen Joong-dos (Wahlkampf) strategische Sicht, wie mit dieser Situation umzugehen sei. Und das ist erst der Anfang einer Reihe sich überrollender Ereignisse, in denen Hye-joo Farbe bekennen will, Farbe bekennen muss, denn plötzlich steht sie auch selbst im Rampenlicht - eingeholt von ihrer Vergangenheit...

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