Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

KDrama nach Themen: Historiendramen

Sandglass

Hammerhart. Eindringlich. Wortkarg. Unvergesslich.

Ein KDrama, das wie nur wenige andere den Schmerz des südkoreanischen Volkes differenziert, konzentriert, schonungslos und doch gefühlvoll verarbeitet. Hier kann man/frau ein jüngeres Phänomen koreanischen Lebensgefühls erleben und mitfühlen:

´Han´, ein kollektiv geteiltes Empfinden von schmerzlich erlebtem Unrecht (siehe Randnotiz weiter unten). "Sandglass" ist eines der ersten KDramen, die es wagten, das Medium Fernsehen für mehr als nur Unterhaltung zu nutzen. Es ist auch eines der ersten, die das überhaupt wagen konnten. Hier wird jüngste Zeitgeschichte kritisch von allen Seiten ins Visier genommen. Und zugleich wird es selbst auch zur kollektiven Mahnwache über jene erst jüngst schmerzhaft errungene Meinungsfreiheit, Reisefreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Insbesondere für die erste Hälfte gebe ich das Prädikat "Besonders Wertvoll". 

 

Erzählt wird die Geschichte von drei befreundeten jungen Menschen während der 1970er Und 1980er Jahre - Park Tae-soo (Choi Min-soo), der eigentlich gerne studiert hätte, aber als Schläger in Gangsterkreisen Karriere macht, Kang Woo-suk (Park Sang-won), der auf die Kraft des Gesetztes hofft und Jura studiert, und Yoon Hye-rin (Go Hyun-jung), gefangen im goldenen Käfig als Tochter des einflussreichsten, offiziell geduldeten Casinobesitzers des Landes, der mit seinem Geld aus Glücksspiel die Militärregierung systematisch über anonyme Bankkonten versorgt. In Zeitsprüngen vor und zurück wird die fatale emotionale Bindung zwischen den dreien vor dem Hintergrund des Zeitgeschehens aufgerollt. Es ist eine dramaturgisch gewissenhafte Abrechnung mit der Militärdiktatur, ihrem Machtmissbrauch und ihrem Verbrechen am Volk. Dabei wurden insbesondere bei der Inszenierung der Gwangju Massaker im Wechsel nahtlos auch originale Filmdokumente eingespielt. Ebenfalls wurde die Darstellung der Samchung Umerziehungslager auf Grundlage von Originalfotos und Dokumenten möglichst realitätsnah inszeniert. Die zweite Hälfte dekliniert die Schicksalswege der drei Protagonist*innen dann in Mafioso-Style weiter durch: der Gangster, der Staatsanwalt und die Erbin des Casinokönigs. Das Finale ist einerseits die freie Wahl für das Volk, die im Hintergrund läuft, und andererseits das Ergebnis aus den jeweils persönlichen (mehr oder weniger freien) Entscheidungen der drei Protagonist*innen, die sich in einer Welt bewegen, in der sich bei allem Tumult und Volksaufstand des vergangenen Jahrzehnts prinzipiell im Grund nicht viel geändert hat...

 

Wohl mehr als die Hälfte der Südkoreanischen Bevölkerung haben 1995 das KDrama "Sandglass" gesehen. Kaum zu glauben, dass es heute so schwer (mit Untertiteln) zu bekommen ist. Es wurde gelobt und nochmals gelobt, und doch sind die DVDs wie vom Erdboden verschluckt. Wer sie hat, gibt sie offenbar ungern raus. Und nachdem ich das KDrama so zwangsläufig zuerst nur im Original ohne Untertitel gesehen habe (war nicht soo schlimm, da meist gar nicht viel geredet wird), dann mit zeitlicher Verzögerung doch auch mit Untertitel (war schon hilfreich, da ich die wenigen Worte oftmals dann doch nicht immer so gut verstanden hatte...) ist mir klar warum. Zumal ich zwischenzeitlich auch noch etwas mehr weiß über jenes Zeitgeschehen.
Es handelt sich bei "Sandglass" wahrlich um ein Meisterwerk. Ja es ist wortkarg, lebt vom Schauspiel, von langen Einstellungen und von gezielt eingesetztem, bewusst reduziertem Licht. Es beschönigt nichts. Es lässt wirken. Fast schon dokumentarisch begleitet die Kamera die Ereignisse. Kommentarlos stehen Sequenzen, Ereignisse, Momente aus verschiedenen Zeiten neben-,  beziehungsweise hintereinander. Wie ein Sog breitet sich die Geschichte aus und zieht in ihren Bann. Der Soundtrack unterstützt diesen Sogeffekt. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, die ja an sich in ihrem Ablauf bekannt, d.h. vorhersehbar ist: Park Diktatur / Unterdrückung demokratischer Bestrebungen unter dem Vorwand kommunistischer, nordkoreanischer Unterwanderung / Chun Doo-hwan oberster Militär, Kommandeur des Sicherheitskommandos und schließlich per Putsch neuer Präsident / Kriegsrecht, Gwangju Aufstand und Massaker / Säuberungslager / Junikampf 1987, Abschaffung des Zensur, Ende der Militärdiktatur / Freie Wahl 1992.
Erstaunlich und grandios, dass bereits 1995 ein kritischer Rückblick auf diese blutigen 1980er Jahre via TV-Serie möglich ist. Genial die Story, in der die Protagonist*innen mit unterschiedlichsten Hintergründen, Werten und Zielen fatal ineinander verwoben und von den historischen Ereignissen und gesellschaftlichen Gegebenheiten gnadenlos verschluckt werden.

 

Ein fantastisches KDrama. Rundum stimmig. Erstklassig.

Eine traurige Geschichte. Nicht lustig. Überhaupt nicht. Auf die dramaturgisch eigenwillige, wortkarge Handschrift muss man/frau sich einlassen können. (Die Stimmung sollte gewissermaßen stimmen.) 

 

(Und ja, es ist ein alter Schinken, was die Produktionsqualität betrifft. Bildschirmformat, Bild- und Tonqualität können mit dem Netflix Zeitalter schwer mithalten - eine digital Remastering wäre da durchaus wünschenswert...)

 

Wer Interesse am Thema hat, aber an das KDrama nicht rankommt, bekommt z.B. in "Youth of May" (2021) einen Eindruck vom Gwangju Massaker und in "Giant" (2010) ein Gefühl für jene Zeit unter Militärdiktatur sowie für die Konzentrationslager, die im Anschluss an die Studentenbewegung eingerichtet wurden.

Wer jedoch die Möglichkeit hat, "Sandglass" zu sehen, dem empfehle ich, sich darauf einzulassen. Auch ohne historisches oder soziokulturelles Interesse hat das KDrama in Sachen Eindrücklichkeit, Melodrama und Schauspiel einiges zu bieten.

 

 

 

 

 

--------------  Hintergrundinfos zum Ablauf der historischen Ereignisse -----------------

 

Zugegeben, es hilft, wenn man/frau die Ereignisse zuzuordnen weiß. So gibt es eingangs beispielsweise die Szenen, in denen Bus-weise Schlägertrupps einerseits, sowie Polizeieinheiten andererseits anrücken und eine Veranstaltung auseinandertreiben. Dabei handelt es sich tatsächlich um das historische Schlüsselereignis, das (eher zufällig) am Anfang der sozialen Unruhen  stand, die 13 Jahre später freie Wahlen zur Folge hatten: Ein vergleichsweise kleiner Streik im Jahr 1979, der in der 4. Etage der Zentrale der Neuen Demokratischen Partei stattfand. Rund 200 weibliche Beschäftigte des Textilunternehmens YH Trading Corporation protestierten gegen die Schließung ihre Fabrik. Gewerkschaften wurden von der Yushin-Diktatur nicht gerne gesehen. Diese Aktion war jedoch eigentlich zu unbedeutend, um einzuschreiten. Dennoch nutzte die Regierung diese Sit-in-Demonstration im Gebäude der oppositionellen Partei als Deckmantel für eine größere Aktion gegen die Opposition - die ´Operation 101´. Dabei stürmten rund 1.000 Polizisten in Uniform und zivile Schlägertrupps in die Parteiräume und schlugen auf führende Parteimitglieder sowie 174 der demonstrierenden Arbeiterinnen ein. Der Gewerkschaftsführer Kim Gyeong-sook starb an den Folgen seines verzweifelten Sprungs aus dem Fenster der 4. Etage.  (Die zivilen Schlägertrupps, zu denen der fiktive Tae-soo in "Sandglass" zählte, unterstanden zwar dem Casinokönig (und zugleich Hye-rins Vater), sie dienten jedoch unmittelbar dem Regime, für das der auch das Geld durch Glücksspiel erwirtschaftete und mehr oder weniger gewaschen zur Verfügung stellte.)

 

Jene gewerkschaftliche Aktion der Fabrikarbeiterinnen war nicht der Grund, aber der Anlass, für die Eigendynamik der folgenden Ereignisse. (Vor diesem Hintergrund wird dann auch die spätere Begegnung von Hye-rin und einer jener Demonstrantinnen von 1979 verständlich. Hye-rin verehrt die durch Folter inzwischen gebrochene Frau für ihren mutigen Kampf für Demokratie. Jene Frau jedoch wollte damals keine politische Revolte, sondern einfach ihren Job nicht verlieren. Sie fühlt sich verraten und instrumentalisiert in einem politischen Kampf, den sie so gar nicht führen wollte.)

Tatsächlich war das Park-Regime selbst an der sich verselbständigenden Politisierung der Ereignisse verantwortlich. Der Versuch, die Opposition zu spalten und zu unterdrücken, ist ihr entglitten. Die geforderte Amtsenthebung des Parteivorsitzenden Kim Young-sam sowie seiner Stellvertreter provozierte die Öffentlichkeit und politisierte den öffentlichen Unmut. Da dies zeitgleich mit dem Beginn des Wintersemesters zusammenfiel, bekam die Studentenbewegung damit zum Semesterstart ein brandaktuell inspiriertes politisches Profil: die Forderung nach dem Ende der Park-Regierung. Eine entsprechende Demonstration in Busan wurde in diesem Zusammenhang gewaltsam niedergeschlagen. Wenige Tage darauf erlag Diktator Park einem Attentat, das auf den Chef der Korean Central Intelligence Agency (KCIA) zurückging.

Mit den Studierenden und ihren Forderungen hatte das inhaltlich direkt gar nichts zu tun.

Mit dem Kommunismus auch nicht. Allerdings war die politische Lage zwischen Norden und Süden aufgrund der Bewerbung Südkoreas als Austragungsort der Olympischen Sommerspiele angespannt.

Allein die zeitliche Nähe zwischen Attentat und Busan-Demonstration war fatal für die weiteren Ereignisse. Die Obersten des Militärs nutzten ihrerseits die Situation des Machtvakuums, verhängten das Kriegsrecht auf dem Festland, installierten eine weitreichenden Ermittlungsinstanz und ebneten damit den Weg für die steile Karriere des Chun Doo-hwan, der als Ermittlungschef eingesetzt wurde. Der ließ sich seine Chance nicht entgehen, griff konsequent und zielstrebig durch.

 

Nach 8 Monaten Militärputsch hatte das Land einen neuen Diktator in Uniform, der sich als Retter der Nation inszenierte. Die Demokratiebestrebung wurde systematisch zum Feind erklärt, indem Verschwörungs- und Infiltrationstheorien über die Ambitionen Nordkoreas gestreut wurden. Presse und Öffentlichkeit wurden massiv mit sogenannten K-Operationen (Königsoperationen) manipuliert, um sie von der Militärherrschaft zu überzeugen. Das Credo lautete: Militär und Chun Doo-hwan wären die einzige Chance, den sich seuchenartig verbreitenden, kommunistisch manipulierten Unruhen so etwas wie Ordnung und Sicherheit entgegenzusetzen. Parallel wurden die Militäreinheiten mit dem sogenannten Choongjung (Wahres Herz) Training auf eine besonders aggressive und effiziente Unterdrückung von Demonstrationen gedrillt. Spezielle Fallschirmjägereinheiten wurden als Sondereinheiten geschaffen. Das Training umfasste neben körperlicher Fitness die Ausbildung eines starken Korps-Geistes sowie die Ausübung massiver Gewalt und gezielter Misshandlung.

 

Auch die Situation unter den Militäreinheiten, die im Mai 1980 in Gwangju eingesetzt wurden, kann vor diesem Hintergrund etwas verständlicher werden. Sie hatten einerseits ein Gehirnwäsche hinter sich. Andererseits ist bis heute tatsächlich immer noch nicht offiziell wirklich geklärt, wer im Mai 1980 welche Befehle gegeben hatte. Telefonanschlüsse aus der und in die Stadt wurden gekappt. Damit war Gwangju abgehängt vom Rest des Landes. Nichts konnte nach außen dringen. Niemand kam rein. Es gab Schießbefehle und dann jene zum Einsatz der Fallschirmjäger. Innere Ambivalenz und Irritation war in allen Befehlsebenen verbreitet. Doch das half nichts. Der Korps-Geist war da schon eher verbindlich und setzte sich durch. Insofern wurden die ausführenden Soldaten als Täter irgendwie auch zu Opfern in diesen traurigen Maitagen. Der proklamierte Feind - der nordkoreanische Kommunismus, der hinter der Demokratiebewegung stehe - sowie die unerschütterliche Säule der Macht - die Militärdiktatur mit all ihrem Dünkel - stellten eine derart starke, wirkungsvolle, mächtige Bedrohung dar, die so große Angst machte, dass Menschen in Uniform (und ohne) erneut (nach gerade mal kaum drei Jahrzehnten) wahllos auf ihre Brüder und Schwestern einschlugen. Weil irgendjemand die Stadt Gwangju als Ort des Exempels bestimmt hatte. Und weil sich die Seiten dort mal gerade so ergaben - diejenigen, die in Gwangju lebten, studierten oder zu Besuch waren auf der einen Seite, und diejenigen, die gerade in jener Zeit ihren Wehrdienst in der Nähe ableisteten (wie der fiktive Woo-suk), andererseits. Die politische Vision oder einfach der schlichte Wunsch, dass endlich alle wirklich ein freies Leben unter gerechten Bedingungen leben können, wirkten dagegen chancenlos. Es ging plötzlich (völlig unpolitisch) ums pure Überleben und verzweifelte Aufbegehren gegen willkürliche Gewalt. 

 

Tatsächlich wurde sich die südkoreanische Bevölkerung mit "Sandglass" erstmals ernsthaft bewusst, was 1980 in Gwangju wirklich geschehen war: ein Volksaufstand gegen militärische Unterdrückung, der brutalst niedergeschlagen wurde. Aufgrund der propagandistischen K-Operationen und der Zensur (erst 1987 aufgehoben) hatte sich das Wissen um diese Geschehnisse nie wirklich verbreiten können. Zahlreiche Zeugen waren gezielt aus dem Verkehr gezogen, aus Angst mundtot gemacht, beziehungsweise in Lager oder ins Gefängnis gesteckt worden. Für viele Fernsehzuschauer*innen 1995 waren diese Straßenschlachten-Szenen wohl ein echter Schock, nicht nur weil sie an sich erschreckend sind (egal wo und wann), sondern weil sie ohne ihr Wissen in dieser zeitlichen und räumlichen Nähe in so brutaler Form stattfinden konnten. So wurde "Sandglass" zugleich zum Trigger für landesweite jüngste Geschichtsaufbereitung. Die TV-Produktion machte den Weg frei für weitere kritische Geschichtsbetrachtung in den Medien und forcierte offenbar außerdem den Verlauf der Verhandlung und Verurteilung des Ex Präsidenten Chun Doo-hwan im Jahr 1996. Er wurde zum Tode verurteilt. (Allerdings wurde daraus im Berufungsverfahren eine lebenslange Freiheitsstrafe und sein Vermögen hat er ebenfalls sicher geparkt. 2021 ist er an Krebs gestorben. )

Randnotiz:  

Gesetz über die Nationale Sicherheit

Das Gesetz über die Nationale Sicherheit ist in Südkoreas seit 1948 in Kraft - bis heute. Es diente primär dazu, antikommunistische Propaganda durchzusetzen und oppositionelle Intellektuelle, Künstler*innen, Journalist*innen und Student*innen zu kontrollieren oder aus dem Verkehr zu ziehen. Defacto wird dadurch die Meinungsfreiheit bis heute eingeschränkt und letztlich gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1976 verstoßen, die Südkorea ratifiziert hat.

Fataler Weise führt es nahtlos ein Relikt aus der Zeit der japanischen Kolonialherrschaft fort. Mehrere 100.000 Menschen sind im Laufe der letzten Jahrzehnte diesem Gesetz zum Opfer gefallen. Die Urteile führten zu Gefängnisstrafen von dreißig bis vierzig Jahren, was weltweit zu den längsten überhaupt zählt. Den Militärdiktaturen hat es gute Dienste erwiesen und unzählige Male die Tür für Verhaftung und Folter geöffnet. Doch auch nach Ende der Diktatur wurden noch im Jahr 1989 täglich durchschnittlich 3,3 Personen kraft dieses Gesetzes über die nationale Sicherheit verhaftet, gefoltert und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Bis heute gilt das Gesetz offiziell als verfassungskonform...

 

 

 

 

Randnotiz:

Umerziehung, Säuberung und Konzentrationslager

Eine spezielle, zweifelhafte Institution während der Diktatur von Chun Doo-hwan stellen die Konzentrationslage zur Umerziehung unerwünschter Bürger dar. 25 solcher Lager wurden im Anschluss an die Gwangju Massaker eingerichtet. Sie dienten dazu, die Straßen Südkoreas systematisch von unerwünschten Personen zu säubern (und doch meist auch willkürlich als militärische Machtdemonstration). Primär dienten die Lager der brutalen Misshandlung. Die Würde wurde gebrochen, der Körper an seine Grenzen gebracht.

Die Inhaftierten wurde dabei in 4 Kategorien unterteilt:  A bedeutete Gefängnis, B und C eine qualvolle Zeit in einem der Umerziehungslager, D eine Verwarnung. Inhaftierte der Kategorie B und C endeten oftmals - sofern sie die Umerziehungslager überlebten - zusätzlich im Gefängnis. Allein im Samchung Umerziehungslager - einem ehemaligen Militärgefängnis in Yeoncheon, Gyeonggi -, das gemäß dem ´Samchung Plan Nr. 5´ ausdrücklich im Kampf gegen den nordkoreanischen Kommunismus geschaffen wurde, haben wohl bis zu 100.000 unschuldige Menschen ohne Haftbefehl die Hölle durchlebt, und selten genug überlebt. 

 

 

 

 

 

Randnotiz: 

Han - kollektiv geteiltes, identitätsstiftende Lebensgefühl als Schmerz im Sinne betrübter, verärgerter Trauer

Im Zuge der japanischen Kolonialisierung entwickelte sich in Korea ein kulturelles Charakteristikum, das als ´Han´ bezeichnet wird. Es wurde und wird viel darüber diskutiert, inwieweit Han als identitätsstiftendes kollektives Merkmal gelten kann oder nicht.  Jedenfalls entwickelte sich als geteilte schmerzliche Erfahrung jener Zeit eine spezifische Ausdrucksform von Trauer, hinter der wehmütig auch unterdrückte Wut mitschwingt. Stellenweise hat Han im Koreanischen seine ganz eigene, getragene, tiefsinnig traurig schwingende Ästhetik gefunden, die man/frau in Musik, Literatur, Poesie, Film und Fernsehen beobachten/spüren kann. Ein kollektiv geteilter Gemütszustand, der sich aus der traumatischen Erfahrung der Erniedrigung und Misshandlung als Volk nährt, die Joseon durch die japanischen Unterdrücker so massiv erleben musste. Han thematisiert die Hilflosigkeit im Angesicht überwältigender Ungerechtigkeit. Doch im Han steckt bei allem Schmerz und aller Trauer auch etwas Zähes: eine innere Widerstandskraft, ein Aufbegehren, das in den düstersten Tiefen dennoch so etwas wie Kraft spendet.

 

Han wird in der Zeitrechnung nach Joseon weiter genährt durch die Trennung von Familien in zwei verfeindete Nationen. Und jene brutalen 1980er Jahre wiederum, die in "Sandglass" im Sinne einer solidarischen Mahnwache wiederbelebt werden, knüpfen unmittelbar an diesen kollektiven Han an - als ein Grundgefühl, das als Konstante schweigend insbesondere die erste Hälfte des KDramas durchzieht. Ein kollektiver Gefühlszustand, dem man/frau sich nicht entziehen kann: Die Erfahrung des Leidens. Die Fähigkeit des Leidens. Das nationale Schicksal des Leidens.

 

Im Verlauf des südkoreanischen Turbokapitalismus der letzten gut zwei Jahrzehnte ist Han als Thema bei der jüngeren Generation etwas in den Hintergrund gerückt. Dennoch findet sich da bereits eine neue, modifizierte, weniger schöne Ausdrucksform: Hwabyeong, die kulturspezifisch koreanische Erscheinung einer depressiven psychosomatischen Störung mit charakteristischen Symptomen, die mittlerweile weite Kreise erfasst - als Folge unterdrückten Ärgers im Angesicht überwältigender, als unfair erlebter Umstände. Unter anderem leiden darunter oftmals die Opfer aus Mobbing in Schulen oder am Arbeitsplatz.

(Da darf man/frau sich fragen dürfen, ob es nicht besser wäre, Han weiterhin einen ausdrücklichen, zeitgemäßen, ästhetischen Ausdruck zu verleihen - im Kontrast zur vorherrschenden aufgehübschten, perfektionierten Fassade in KPop- und KDrama-Kultur... aber das wäre ein anderes Thema...)

모래시계 - Moraesigye

Lit.: Sanduhr

 

1995, 24 Episoden

 

Hauptdarsteller*innen:
-Choi Min-soo
-Park Sang-won
-Go Hyun-jung
-Lee Jung-jae

 

Plot:
Park Tae-soo findet in seinem Schulkameraden Kang Woo-suk eine Nachhilfelehrer, doch endet dennoch in einer organisierten Schlägertruppe. Er macht Karriere in Gangsterkreisen. Sein Freund wiederum studiert Jura und verliebt sich in die politisch aktive Yoon Hye-rin. Yoon Hye-rin leidet ihrerseits unter ihrem einflussreichen Vater, der mit seinen Unterweltaktivitäten und Casinoerträgen das herrschende Regime unterstützt. In Woo-suk lernt sie erstmals jemanden kennen, der nicht die bedrohliche Gewalt und das Geld ihres Vaters in/hinter ihr sieht, sondern sie. Durch Woo-suk trifft sie ebenfalls auf Tae-soo. Im Hintergrund nimmt die Studentenbewegung ihren Lauf und die drei werden in einem Strudel dramatischer Ereignisse herumgewirbelt, die kein Ende nehmen wollen.

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