Aktuelle Entwicklungstendenzen südkoreanischer Serienproduktionen für den internationalen Streaming-Markt
Die Investitionen allein in südkoreanische Netflix-Produktionen steigen rasant. Allein 2021 sind einige auf den Markt gekommen und für 2022 sind über 25 geplant. Und man/frau kann jetzt schon erkennen, dass die explizit für den internationalen Markt konzipierten Produktionen den typischen Style der KDramen beeinflussen. KDramen werden dabei bewusst für das nicht-koreanische Auge geschliffen. Ganz offensichtlich mit sehr, sehr großem Erfolg. Man/frau kann sagen: eine international zugeschnittene, koreanische Produktion (für derzeit v.a. Netflix aber zunehmend auch Disney, Apple usw.) steht für ein Qualitätsmerkmal in Sachen komplexe Story, technisch und cineastisch hohes Niveau und beachtliche Schauspieler. Im Koreanischen ist man/frau jedoch prinzipiell eher weniger unterwegs. (Ich meine hier die ausschließlich für die internationalen Streaming-Plattformen konzipierten Produktionen, nicht jene, die in Kooperation mit einem der südkoreanischen Fernsehsender realisiert werden.)
Prima gemacht, aber: ´don´t waste my time´
Ja, die Zeit vergeht wie im Fluge. Der Zuschnitt auf das internationale Publikum vertreibt mir die Zeit bunt, flink und bewegend. Doch auffällig oft bewegt hier das Adrenalin die Gemüter und die Angst oder der Horror werden zur treibenden Kraft. Die Herzqualität wiederum, das, was ich am KDrama schätze - dass es die Qualität des Mitgefühls auch mit dem schlimmsten Zeitgenossen zu wecken und zu nähren versteht, indem es hier und da mal Tempo rausnimmt, Verletzlichkeit zulässt, und Raum schafft, nachzuspüren - die steht im internationalen Mainstream offenbar im Hintergrund. (Nicht dass sie weg wäre; sie ist eben tendenziell weniger als ´sonst´ im KDrama, d.h. eher am weltweiten Mittelmaß angepasst.)
Bis jetzt könnte ich diesbezüglich daher an die ein oder andere Produktion die Haftnotiz "überflüssig" oder "Dont´t waste my Time" dran hängen, denn außer adrenalingeschwängerter Unterhaltung hat sie (im Vergleich zu sonst im KDrama) nicht allzu viel an Erkenntniswert oder Inspiration zu bieten. Ich hätte (insbesondere wenn ich im Koreanischen unterwegs sein will) nichts verpasst, wenn ich sie nicht gesehen hätte. Und würde ich diese Seiten hier nicht schreiben, dann hätte ich auch die ein oder andere Serie nicht sehen müssen. Ich schaue auch sonst nicht aus Prinzip alles, das der koreanische Serienmarkt hergibt. Manches habe ich da schon im Vorfeld unter den Gesichtspunkten "überflüssig" oder "Dont´t waste my Time" aussortiert und gar nicht an- oder weitergeschaut. Allerdings (muss ich fairer Weise sagen) unterscheiden sich diese ´überflüssigen´ Netflix-KDrama-Varianten von anderen internationalen Serienproduktionen, da sie eine/n schon bewährt beherzt an die Hand nehmen, den Zuschauer*innengeist gut in ´ihre´ Welt zu entführen wissen und damit in sich hohen Unterhaltungswert bieten - wenn man/frau weiter nichts will und durch blutige Szenen nicht abgeschreckt wird, macht man/frau hier nichts falsch...
Bis jetzt lässt sich beobachten:
Der internationale Streamingmarkt eröffnete neue Potenziale für Südkorea, sich mit einem qualitätsvollen Produkt weltweit eindrucksvoll (und lukrativ) zu platzieren.
Fazit:
Diese KDrama-Produktionen, die bewusst für den internationalen Streaming-Markt geschaffen werden, lösen sich tendenziell vom kulturspezifischen TV-Markt ab und werden so bekömmlicher für Zuschauer*innen jeder Kultur. Das ist raffiniert. Aber es wäre ein bisschen schade, wenn sich dies ebenfalls auf die Produktion der TV-Sender im eigenen Land auswirken würde. Ich persönlich hoffe, dass der Netflix-Trend zu einer größeren kulturellen Breite und Vielschichtigkeit beiträgt und nicht mittelfristig zu einer Reduktion der spezifischen KDrama Qualität auf ein gleichförmiges, globales Mainstream-Format führt. Das bleibt abzuwarten.
Im besten Falle öffnet sich das Massenbewusstsein der südkoreanischen Gesellschaft im Zuge dieser medialen Öffnung ebenfalls - immerhin sind die vielen Jahrhunderte introvertierter, auf sich selbst und die eigene Nation konzentrierter Zurückgezogenheit von der weltpolitischen Bühne noch sehr nah...
Und noch eine Randbemerkung zum generellen Wandel im Serien-Sehverhalten:
Immer mehr Serien und immer noch mehr fluten den weltweiten Streaming-Markt und sorgen bei den Zuschauer*innen für ein enormes, geradezu überwältigendes Angebot und zugleich für eine regelrechte Übersättigung mit Geschichten. Wenn vor 20 Jahren die Abende im Zeichen dieser oder jener Serie standen, die sich über Wochen, Monate oder gar Jahrzehnte hinzogen, so wird heute schon mal in einer langen Nacht oder an einem Wochenende, mindestens jedoch (oftmals) innerhalb einer Woche eine Serie verschluckt. Dabei ist vielen das Vorspulen (meist komfortabel in der Streaming App schon angeboten) zur Gewohnheit geworden. Das verändert das Sehverhalten.
Leicht gerät man/frau in die Versuchung, über die Ereignisse ´hinwegzubrettern´, wenn es sich mal vermeintlich hinzieht. In KDramen, die vom ´Anhalten der Zeit´ leben - vom Erinnern, Nachspüren und Wirkenlassen - bietet es sich an, über diese ´emotionalen Zwischenräume´ oder die Nebenplots hinwegzuspulen. So kann man/frau näher am zentralen Handlungsbogen dranbleiben. Die Zuschauer*innen machen sich dabei selbst zu den Regisseur*innen ihrer rezipierten Geschichten. Das ist vielleicht gut. Vielleicht auch nicht.
Ich beobachte in den zahlreichen Kritiken und Bewertungen zu Serien und Filmen, die man/frau auf den Streamingseiten oder auch auf Fanseiten mit Serienreviews lesen kann, eine latent zunehmende Ungeduld. Die Masse des Angebots nährt einen Hype um ´irgendetwas´ - um was ist jedoch gar nicht so klar. Die Bereitschaft, sich auf das einzulassen, was ist, nimmt hingegen ab. Das ist gut, denn man/frau muss sich ja nicht alles antun. Das ist schlecht, denn man/frau gewöhnt sich daran, das, was einer/m gerade nicht passt, zu langsam geht, zu langweilig ist, oder sonstwie irritiert, zu ignorieren, zu übergehen, zu kritisieren - anstatt sich damit auseinanderzusetzen. Die Langeweile schafft jedoch den Markt für noch mehr medialen Input und der wiederum sorgt für noch mehr Langeweile. Übersättigung ist vorprogrammiert. Und die verändert den Blick.
Ob ich etwas gut oder schlecht finde, das hängt von so vielem ab. Vom Timing auch. Wenn mich etwas nicht anspricht, dann muss ich es nicht anschauen. Dies bedeutet nicht zwingend, dass es nichts taugt, sondern eher, dass es gerade JETZT nicht zu meiner Unterhaltung taugt. Das könnte zu einem anderen Zeitpunkt anders sein. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist eines klar: ich muss es dann nicht anschauen. Keine Ahnung, warum so viele das dann offensichtlich trotzdem noch tun - als gäbe es dafür Punkte...
Wenn ich satt bin, dann macht mich auch das leckerste Essen nicht an. Und wenn ich Appetit habe, dabei jedoch 7 Gerichte nebeneinander oder kurz nacheinander probiere, dann haben es jene, die nicht als Gaumen- oder Eyecatcher spektakulär und noch spektakulärer daher kommen, schwer. Das bedeutet jedoch nicht, dass die vergleichsweise fade oder vertraut anmutenden, ´langweiligen´ Gerichte nicht gut wären. Sie haben nur in dem Moment vielleicht keine Chance, ihre Qualitäten zu entfalten.
Meist bewähren sich die dezenteren, soliden Gerichte auf Dauer besser als die Spektakulären, denn das Spektakuläre ist schnell vertraut und wird langweilig. Aus eigener Beobachtung kann ich feststellen: auch nach mehreren Jahrzehnten freue ich mich immer noch und immer wieder über Gerichte, die sich über die Zeit bewährt haben - oftmals eigentlich recht schlichte Gerichte. Manches spektakuläre Feuerwerk, das mich im ersten Moment durchaus begeistern konnte, hat sich hingegen nicht durchgesetzt. Selbst der Hype nach spektakulären Gerichten per se ist verraucht - weil mittlerweile auch ein bisschen normal/selbstverständlich und somit langweilig.
Vieles ist mit der Zeit einfach bekannt. Das liegt in der Natur eigentlich jeder Sache, jeder Beziehung und jeder Arbeit. Da kommt nicht so viel nach. Zumindest drosselt sich das Tempo der aufregenden Ereignisse. Film und Fernsehen sollen in einem solchermaßen geprägten Alltag für Unterhaltung sorgen. Für etwas aufregendes Drama. Doch zu dumm: auch das Drama verliert an unterhaltsamem Spektakel. Am Ende liegt immer daselben Material zugrunde: Menschen und ihren Geschichten. Da wiederholt sich vieles, da zieht sich manches hin, das meiste ist bekannt. Früher oder später (und beim heute zunehmend hohen Watch-Tempo eher früher) erreicht das jede/n Zuschauer*in.
Vielleicht liegt die Lösung der Übersättigung mit multimedialen Unterhaltungsprodukten
nicht im Fast-Forward, in der Hoffnung, dass mich hoffentlich doch noch etwas begeistern kann. Und auch nicht im Wegbeamen durch Koma-Schauen. Vielleicht führt gerade der Streaming-Markt
mitsamt seinen Tendenzen zu immer noch mehr Angeboten mittelfristig wieder zu einer Neuentdeckung der Langsamkeit und der langen Weile samt ihrer Qualitäten: Langsames Tempo mit Raum für
Zwischenräume. Anhalten. Aushalten. Auseinandersetzen. Nachspüren. DAsein. DAbleiben. Zeit lassen. Zeit nehmen. Einlassen. Eintauchen. Innerlich Mitgehen.
Mitfühlen. Ich meine, dies ist die derzeit unterschätzte, verborgene Qualität der Zeit. Auch beim Geschichtenerzählen.
Von A-Z