KDrama nach Themen: Beispiele für KMovie
Prolog:
Das Fazit für den Protagonisten mit Ende 30: Er will zurück. Er will das Leben seiner späten Jugend zurück haben. Er kann mit dem, was er heute ist, nicht weitermachen. Er sieht nur noch einen Ausweg - den letzten.
Doch das Ende ist für die Zuschauer*innen zugleich der Anfang der Geschichte. In sieben Kapiteln geht die Reise rückwärts. Und wenn wir schließlich am Anfang angekommen sind, dann bietet es sich an, nochmals das Ende anzusehen... (im Fall des Films: dessen Anfang...) dann schließt sich der Kreis in doppelter Hinsicht...
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"Peppermint Candy" gehört zu den Top Ten der südkoreanischen Kinofilme im Jahr 2000. Die einkassierten (auch internationalen) Preise können sich sehen lassen. Und selbst (noch) 2022 wird er im "The Guardian" unter den südkoreanischen Filmklassikern auf Platz 12 gelistet. Soll heißen: Er war damals aktuell und ist bis heute Kult. Für mich ist "Peppermint Candy" eine KMovie Produktion, die das Prädikat "besonders wertvoll" in jedem Fall verdient hat.
"Peppermint Candy" stammt aus dem Jahr 1999. Es erzählt die Geschichte der vorausgegangenen zwei Jahrzehnte südkoreanischer Geschichte am Beispiel eines willkürlichen, unscheinbaren Individuums. Für die Zuschauer*innen, die sich über die Ereignisse der jüngeren südkoreanischen Geschichte nicht so klar sind, reduziert sich das KMovie möglicherweise auf den Protagonisten als Individuum - auf seine ganz persönliche Geschichte und dessen tragisches Ende. Für all jene, die über die historischen, gesellschaftlichen Hintergründe etwas Bescheid wissen (siehe dazu ggf. die Randnotiz weiter unten), wird der Kinofilm zu einem Memorial auf Leinwand, das all jenen in der Gesellschaft gedenkt, denen es im Verlauf auf die eine oder andere Art ähnlich ergangen sein mag. Und das waren nicht wenige.
1999 blickt Südkorea auf zwei äußerst bewegte Jahrzehnte zurück. Zwei Jahrzehnte, die von der breiten Bevölkerung erduldet, ertragen, getragen wurden... Zwei Jahrzehnte, die außer Demokratie, Turbokapitalismus und Wohlstand doch auch eine ganze Reihe psychischer Krüppel hervorgebracht hat.
Ich mag das Wort ´Krüppel´ eigentlich nicht, doch irgendwie scheint es mir in diesem Fall passend, hier im Sinne von: Menschen die von anderen oder ´vom Leben´ bis zur seelischen Besinnungslosigkeit malträtiert wurden (dabei vielleicht auch selbst als Täter involviert waren). Menschen, die unter ihrem Schicksal, ihren traumatischen Erlebnissen, zerbrochen sind, nicht darüber reden durften/konnten, (ab)gestürzt sind, sich verloren haben, nicht mehr auf die Beine kamen, hilflos; völlig verbogen; und die mit ihrer Scham und ihrer Schuld keinen Frieden finden konnten. In ihrem Unvermögen, darüber zu kommunizieren und sich Hilfe zu holen, wurden sie für ihr Umfeld zum menschlichen Totalausfall.
"Peppermint Candy" porträtiert im Rückwärtsgang in bewegenden Szenen exemplarisch den Werdegang eines solchen psychischen (und physischen) ´Krüppels´. Wir können ihn als Einzelschicksal verstehen. Auch ohne historisches Hintergrundwissen erschließt sich den Zuschauer*innen egal welcher Sozialisation die gebrochene Seele, von der nach außen hin nur noch ein rechtes ´Arschloch´ übriggeblieben ist. Einst ein poetischer, zarter, feinfühliger Geist... kaum zu glauben. Sol Kyung-gu fächert hier die gesamte Bandbreite seines Könnens auf und zieht die Zuschauer*innen überzeugend und kompromisslos tief in jede seiner differenzierten, durchaus unschönen Gefühls- und Lebenslagen mit hinein.
"Peppermint Candy" ist in vielfacher Hinsicht grandios gemacht. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Schonungslos. Und in wunderbar pointiert gewählter, symbolischer Bildsprache gewinnen die Szenen im Verlauf auch noch nachträglich - wenn wir schon einige Sequenzen weiter (zurück gereist) sind - an emotionaler Wucht und Aussagekraft... in dem Maße, wie sich die Puzzlestückchen einschneidender Ereignisse eines Lebens zu einem kohärenten Scherbenhaufen zusammensetzen.
Der Protagonist in "Peppermint Candy" erlebt all die prägnanten gesellschaftlichen Ereignisse seiner Generation jeweils an vorderster Front mit. Seine psychische Abwärtsspirale ist nicht aufzuhalten. Doch dieser Protagonist ist keine Ausnahme. Solche oder ähnliche Geschichten hätten unzählige Enddreißiger 1999 in Südkorea erzählen können. Es waren zwei stellenweise traumatisierende Jahrzehnte, mit deren Verarbeitung die breite Bevölkerung alleine gelassen war. Was die Menschen emotional erlebt haben, was sie verarbeiten mussten und nicht konnten, ihre Schuld, ihre Ohnmacht, ihre Scham - darüber herrschte weitgehend Schweigen. In ihnen und auch in der Begegnung mit ihren Mitmenschen. Da schmerzt vielleicht manchmal die alte Wunde wieder. Mann geht zu Boden. Ein alte Wunde. Ein Schmerz, dem man sich nicht entziehen kann. Doch auch ein Phantomschmerz: das verzweifelte Leid über ein wesentliches Stück ´Ich bin´, das ihm heute fehlt - wahlweise: das ihm damals entglitten ist; wahlweise: das ihm genommen wurde; wahlweise: das er verloren hat...
Der Protagonist in "Peppermint Candy" erleidet stellvertretend für eine ganze Generation anonymer junger Menschen, die durch die beiden Jahrzehnte der 80er und 90er, der Zeit des Übergangs von der Militärdiktatur zum modernen Kapitalismus, still in sich hinein zermürbt, psychisch tiefgehend zerrüttet wurden und schließlich existenziell Bankrott gingen. Alle jene, denen es ähnlich ergangen sein mag, wurden mit dem KMovie abgeholt und auch ihre nächsten Mitmenschen konnten damit etwas besänftigt werden. Wo jahrzehntelang die Kommunikation nicht stattgefunden hat, vermag das KMovie mit seinen stellenweise verstörenden Einblicken, eine Brücke zu schlagen: Mit Verständnis, das eventuell bis hin zur Verständigung reicht. "Peppermint Candy" schafft es, das südkoreanische Volk über das Schicksal dieses einen fiktiven Mannes und seines persönlichen Umfeldes zu verbinden (und obendrein gegebenenfalls sogar den Rest der Welt zu berühren). Mit jenem Mann, Yongho, der ´jeder´ sein könnte, und mit ihm die Frauen und Freunde (?), Kollegen und Opfer, die seine Wege gekreuzt hatten, und die doch auch ´jede/r´ sein könnten.
Gewaltig. Nachhallend.
Ein leidenschaftliches Werk.
Nicht ´schön´. Aber unbedingt sehenswert.
Kein sympathisches Werk. Aber ein überzeugend empathisches Werk.
Randnotiz:
Kurzer Abriss zu den historischen Hintergründen Südkoreas - bezüglich Mai 1980 in Gwangju, den 1980er Jahren unter repressiver Polizeigewalt, und den Wirtschaftswunderjahren bis hin zur Asienkriese 1997-1999.
Der Mai 1980 in Gwangju, Südkorea, bot ein blutiges Massaker, das Polizei und Militär auf Befehl am eigenen Volk verüben mussten, und das fast zwei Jahrzehnte lang ein offizielles Tabu darstellte. Was in Gwangju damals geschehen ist, wurde vor dem Rest des Landes geheim gehalten. Die Stadt war abgeriegelt. Der Feind hieß offiziell ´Kommunismus´ (insbesondere in den Kreisen der Studierenden, vermeintlich unter dem infiltrierten Einfluss von Nordkorea.) Mehr zu jenen Ereignissen z.B. in der Randnotiz zu "Sandglass".
Jene, die den Mai 1980 in Gwangju damals überlebten und vielleicht darüber hätten erzählen können oder hätten erzählen wollen, wurden unter Druck gesetzt, verfolgt, gefoltert, in Lager gesteckt. Die anderen, die darüber dann lieber geschwiegen haben, mussten selbst damit klar kommen, wie sie das emotional verdauen.
Präsident Chun Do-hwan, der in der Folge des blutigen Frühjahrs 1980 auf seinen Vorgänger Park Chung-hee folgte, prägte mit seiner Diktatur für das gemeine Volk keinesfalls weniger autokratische Strukturen als zuvor. Im Gegenteil. Unter ihm wurde im Sinne einer systematischen Säuberung brutal gefoltert. Die Jahre unter der Herrschaft von Chun Do-hwan waren in Sachen politischer Repression für Südkorea mit die schlimmsten. Mit aller Gewalt sollte sich das Land bis zu den Olympischen Spielen für den Rest der Welt schillernd und aufstrebend präsentieren. Was/wer störte, kam weg. Die autokratische Herrschaft des Diktators und seines brutalen Machtapparats mit Polizei und Geheimdienst endete jedoch in Folge des ungebremsten, enormen öffentlichen Drucks 1987. Die Sehnsucht des Volkes nach Demokratie konnte sich endlich durchsetzen.
Zeitgleich zur Repression unter Chun Do-hwan waren die 1980er ff Jahre durch die Wirtschaftswunderjahre geprägt. Der Markt wurde zunehmend liberalisiert und entdeckte den Export für sich. Dabei wurden Wachstum und Wohlstand im großen Stil auf Pump gebaut: Direktinvestitionen aus dem Ausland, Kreditkarten für das Volk im Land, Kredithaie für all jenen kleineren Betriebe, die nicht an das Geld der Banken kamen. Das ging gut, bis die Blase der ausufernden Kreditwirtschaft der 1990er Jahre 1997 schließlich platzte. Das Stichwort lautete Asienkrise. Auf einen regelrechten Kreditboom folgte der Crash, der Werteverfall des Won, reihenweise Konkurse, Arbeitslosigkeit, Armut.
Auch wenn Südkorea volkswirtschaftlich gesehen im Zuge der dort IWF-Krise genannten Folgejahre wirtschaftlich erstaunlich schnell wieder auf die Beine kam, so war der Weg dahin durch unzählige, individuelle, leidvolle Schicksale geprägt, die persönlich noch lange an den Folgen ihres Bankrotts laborier(t)en.
박하사탕 - Bakha Satang
Lit.: Pfefferminzbonbon
1999, 130 Minuten
Hauptdarsteller*innen:
-Sol Kyung-gu
-Moon So-ri
-Kim Yeo-jin
-Park Soo-young
-Park Sung-yeon r
Plot:
Was brachte Yongho dazu, beim Klassentreffen 1999 - nach 20 Jahren seit dem letzten Picnic am Fluss - uneingeladen aufzutauchen und sich das Leben zu nehmen?