Unterwegs im Koreanischen
Unterwegs im Koreanischen

Südkorea im KDrama

Schattenherrschaft der Jaebeol

Faszination der Reichen und noch Schöneren

Vermutlich ist durchgängig in allen Kulturen dieser Erde die Sehnsucht bei der Mehrheit der Bevölkerung sehr groß, an der Welt der Reichen und Mächtigen zumindest stellvertretend im Rahmen von Stories in Buch, Film und Stream teilhaben zu können. Darin unterscheidet sich Südkorea offenbar nicht. Jene KDramen, die nicht früher oder später mit der Welt der Reichen und noch Schöneren kollidieren, sind eher die Ausnahme. (Immerhin, es gibt sie auch!)

 

Die Vormachstellung der Reichen und Mächtigen ist zwar nicht spezifisch für Südkorea, im Koreanischen hat sich jedoch in der Nachkriegszeit eine ganz eigene Spielart entwickelt: Diese "reichen Sippen" (Jaebeol) sind als Motor der neueren Geschichte fester und systematischer Einflussfaktor auf das gesellschaftliche Leben. Zu viele Menschen stehen bei ihnen direkt in Lohn und Brot. Bis heute mischen die Jaebeol - diese spezielle koreanische Kreation einer im Schatten des politischen und gesellschaftlichen Lebens wirkenden, mächtigen "Spezies" - in allen erdenklichen Bereichen vorne mit... spätestens wenn es ihre Interessen tangiert. 

 

Es handelt sich bei den Jaebeol um regelrechte Dynastien, in deren Besitz mittlerweile komplexe, patriarchalisch geführte Großunternehmen sind. Eigentum und Management sind dabei eng verbunden, wobei die Macht defacto auf die Gründerfamilie reduziert ist. Ihre Kapitalanteile konzentrieren sich im Wesentlichen innerhalb des Familienclans. Aufgrund unkomplizierter Entscheidungswege können sie von der Chefetage aus schnell und flexibel am Markt agieren. Sie wurden im Zuge der autokratischen Staatsführung der frühen Jahre der Republik geboren und während der Militärdiktatur weiter gestärkt. Damals hat sich die wirtschaftlichen Macht mit gezielter staatlicher Förderung in der Hand einer überschaubaren Zahl von Unternehmenskonglomeraten konzentriert, die mittlerweile gigantische Ausmaße angenommen haben.  

Die Anfänge der "reichen Sippen"

Die ersten Stunden der Jaebeol schlugen oft schon in der Zeit, als Korea noch von den Japanern besetzt war. Samsungs Gründervater beispielsweise war 1938 28 Jahre alt, als er mit umgerechnet nur ca. 20 Euro Startkapital in Daegu begann, Trockenfisch und andere Lebensmittel zu exportieren. Aus dem kleinen Händler mit den drei (Sam) Sternen (Sung)“ ist eines der weltweit größten Unternehmenskonglomerate geworden. Rund 300.000 Menschen werden bei dem einstigen 1-Mann-Betrieb inzwischen beschäftigt. Heute ist Samsung vor allem bekannt für seine Vorreiter-Rolle in der Hightech-Elektronik, doch es gibt inzwischen über 60 Tochterfirmen in allen möglichen Segmenten. Das gilt auch für die Unternehmenskonglomerate der anderen Jaebeol, die mit ihren zahlreichen Tochterfirmen beispielsweise im Immobiliengeschäft, in der Automobilindustrie, im Hotelgeschäft, in der Lebensmittelbranche, in der Textilindustrie, in der Gesundheitsindustrie und im Schiffsbau tätig sind. Das Sortiment ist stets breit aufgestellt. Daher werden nahezu alle Lebensbereiche der südkoreanischen Gesellschaft durch sie beeinflusst - die Menschen leben in den Hochhäusern der Jaebol, kaufen die Produkte der Jaebol, fahren die Autos der Jaebeol, werden durch sie beschäftigt und versichert.

 

Dass es so weit kommen konnte, hätte damals, am Ende des zweiten Weltkriegs, keine/r gedacht. Da gibt es die Erfolgsgeschichte von Lee Byung-chull und seine Familie (Samsung), aber auch jene der Gründerväter von beispielsweise Booyoung, Daewoo, Hyundai, Kia und Kumho Asiana, sowie von der LG Group (früher „Lucky“ und „Goldstar“), der GS Group, LS Group, Lotte Group, Shinsegae oder SK Group und deren Dynastien. Sie verdanken ihre expansive jüngere Familiengeschichte der autokratischen Steuerung und staatlichen Investitionen in den ersten Jahrzehnten der Republik. Ursprünglich meist einfache Menschen mit einer guten Geschäftsidee wurden damals staatlich systematisch gefördert, um Großunternehmen zu erschaffen, welche die Voraussetzung für ein rasantes Wirtschaftswachstum bieten sollten. Gewerkschaftsaktivitäten oder Demokratiebewegungen wurden dabei brutal unterbunden. Stattdessen schufen die Jaebeol in ihren Unternehmen ein selbst kontrolliertes, firmeneigenes hierarchisches System lebenslanger Beschäftigung und sozialer Absicherungen. Die Regierung ignorierte offenen Auges Gesetzesbrüche, Menschenrechtsverletzungen oder die Schädigung der Umwelt. Durch die engen Verflechtungen und Abhängigkeiten zwischen Staatsführung und Unternehmern eröffnete sich viel Spielraum für Korruption und den Ausbau von loyalen Seilschaften. Aber auch für Wirtschaftswachstum.

 

Wenn zu Beginn der Republik der Staat die Wirtschaftsakteure steuerte und kontrollierte, dann kippte das Verhältnis mit der wachsenden auch globalen wirtschaftlichen Macht. Die Jaebeol bauten ihre Macht nicht nur zunehmend unabhängig und unkontrolliert von staatlichen Stellen weiter aus, sondern kontrollierten ihrerseits im Schatten der politischen Podien (ob Militärdiktatur oder Demokratisierung) fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens (sehr anschaulich dokumentiert im KMovie "The King").

 

Nun sind nicht nur die Familienunternehmen zu Global Playern herangewachsen, sondern auch die Familien sind teils groß und verzweigt. Mittlerweile haben auch schon die Kinder der Kinder der Gründerväter Kinder. Die Jaebeol-Dynastien leiten ihre gefühlt undurchdringlich vielen, weiterhin im Familienkreis geführten Tochterunternehmen bevorzugt immer noch mit den bewährten Methoden. Doch ihre Schattenmacht als "Sippe"  fängt an zu bröckeln.

Veränderungsprozesse innen und außen sind in Gang gesetzt - das KDrama als Thermometer der gesellschaftlichen Prozesse

Der Aufstieg der Jaebeol war ebenso wie das Wachstum ihrer Unternehmen durch die starke patriarchale Hand ihrer Gründerväter geprägt. Diese sterben jedoch langsam aus... Damit einher gehen schleichende Veränderungsprozesse. Die Gründerväter wussten, wo sie herkamen. Sie hatten aus z.T. erster Stunde langjährige loyale, über die Zeit gewachsene  (wenn auch durch Abhängigkeit geprägte) Beziehungen zu ihren Assistenten, Sekretären, Fahrern, Vorarbeitern... und sie haben sich über die Zeit ein systematische Netzwerk aufgebaut, das ihre Interessen in alle Gesellschaftsbereiche hinein vertrat.

 

Der Nachwuchs ist "mit dem goldenen Löffel im Mund" geboren, durch Reichtum verwöhnt und weit weg von den Menschen, die für sie arbeiten, und deren Lebenswelt. Diese Jaebeol sind zunehmend mit ihren Familiendynamiken, Skandalen und Erbstreitereien beschäftigt. Das Prinzip der Bestechung mag zwar noch funktionieren, doch die Zügel sind mittlerweile in mehreren, zunehmend zerstrittenen Händen. Man könnte meinen, die Jaebeol haben bereits angefangen, ihre Machtstrukturen selbst auszuhebeln. Und wenn nicht das, dann holen sie ihre vergangenen Machenschaften ein.

 

In den  KDramen spielen die Familien der Reichen und Mächtigen seit Beginn der TV-Produktionen (so wie auch in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes) eine tragende Rolle. Sie bieten schließlich ein vielfältige Kulisse für reichlich Drama. In den früheren Produktionen waren das eher Familiendramen. In den neueren Serien der zweiten Dekade des neuen Millenniums weht ein frischerer Drama-Wind, in dem Korruption, Schattenherrschaft und Allmacht der Jaebeol explizit thematisiert und problematisiert werden. Zunehmend kippen die Geschichten zu Gunsten einer legalen Rechtsprechung: so wird mit viel Engagement, viel Mut sowie reichlich Opferbereitschaft und langem Atem auch mal eine Bestrafung erreicht. Tendenz steigend. Damit spiegeln die Geschichten die aktuelle Zeitgeschichte.

 

Die juristischen Ermittlungen und Skandale um Daewoo, Hyundai und Samsung um 2006 und 2008 sorgten für großen Aufruhr und Verurteilung.  Z.B. wurde im Rahmen des Samsung-Skandals offengelegt, dass rund 300 einflussreiche Politiker, Premierminister, Anwälte, Journalisten, Wissenschaftler und Steuerbeamte auf Samsungs Gehaltsliste standen. Doch irgendwie sind die Schuldigen Jaebeol wieder gut davon gekommen. Auch 2013 im KDrama "Dont Look Back: Legend of Orpheus" beispielsweise behält der Jaebeol selbst im Angesicht erdrückender Beweislast doch noch irgendwie die Oberhand.

2017 sieht das allerdings schon anders aus. Z.B. in KDramen wie "Stranger" (darin arbeiten Polizei und Staatsanwaltschaft - auch wenn die alten, noch wirksamen korrupten Strukturen es erschweren - wirkungsvoll zusammen) und "Misty" (worin das Verhältnis von Jaebeol und Pressefreiheit thematisiert wird). Zeitgenössische Vorgeschichte: Im Herbst 2016 hatte die südkoreanische Bevölkerung durch Demonstrationen Ermittlungen gegen die damalige Präsidentin Park Geun-hye erreichen können. Sie ist inzwischen verurteilt und sitzt für 24 Jahre im Gefängnis. Mit ihr zahlreiche Beamte und Politiker. (Nachtrag 2022: Sie wurde dann doch auch wieder begnadigt...)

Die Schattenherrschaft der Jaebeol schleicht sich aus. Beeinflussen sich Massenbewusstsein und Zeitgeschichte gegenseitig? 

Vielleicht spiegelt das KDrama nicht nur die gesellschaftlichen Prozesse, sondern beeinflusst sie auch in Form einer Wechselwirkung, indem es mit vorbildlichen Protagonisten und eindrücklichen Szenarien im Massenbewussstein den Nährboden für mehr Mut, mehr Wille und mehr Kooperation in der Überführung illegaler Machenschaften und Verbrechen stärkt? Die öffentliche Meinung beeinflusst die Politik und die Politik macht wiederum Mut in der Öffentlichkeit... Auf "Stranger" folgte aufgrund des Erfolgs 2020 eine zweite Staffel. Eine dritte Staffel ist im Gespräch. Mehr als korrelative Zusammenhänge suggeriert auch der Erfolg des KMovies "Pandora" aus dem Jahr 2016, das die Atompolitik des Landes problematisiert. Dabei wurde die Verfilzung zwischen Politik und Gesellschaft anschaulich und bewegend offengelegt. Finanziert werden konnte der engagierte Film nur über Crowdfunding... Realgeschichte: 2017 beschließt Südkorea eine radikale Kehrwende in ihrer Atompolitik - Die Regierung stoppte (erfolgreich gegen die starke Lobby) den Bau von Atomkraftwerken und verlängerte die Laufzeit bestehender nicht weiter. Allerdings... (es wäre ja zu schön, um wahr zu sein) ...mittlerweile konnte die Lobby diese Entscheidung schon wieder kippen. Es werden wieder Meiler gebaut.

 

Die starke Macht in den Jaebeol-Konzernen wurde lange Zeit unter anderem durch die Aushebelung einer Kontrolle durch die Aktionäre erreicht, wenn es um die Besetzungen des Managements ging. Auch hier weht zunehmend ein anderer Wind. Dazu mag beitragen, dass die Jaebeol selbst durch Fehlbesetzungen des Managements mit unqualifizierten Familienmitgliedern oder aufgrund von Skandalen zu schmerzlichen Wertverlusten am Aktienmarkt beigetragen haben - damit haben sie Vertrauen eingebüßt und die Aktionäre aufgerüttelt. Dazu mag auch die Arroganz der nachfolgenden Jaebeol-Generation beitragen, die dem Aufbau zuverlässiger oder gar loyaler (Geschäfts-)Beziehungen im Wege stehen. Der Nachwuchs hat seine Leute und damit die Aktionäre nicht mehr so sicher im Griff, wie seinerzeit die Gründerväter. Dahinter steckt jedoch auch die Strategie der neu gewählten koreanischen Regierung, die unter die Geschichte der Verflechtungen von Politik und Jaebeol aktiv einen Schlussstrich ziehen will. 

 

Die Meldungen häufen sich in den vergangenen Jahre, dass die großen Familienclans ihre Chefposten räumen müssen. Allein 2019 wurden drei schwergewichtige Konzernchefs ihrer Ämter enthoben:  Der Chef der Fluggesellschaft Asiana musste wegen aufgehübschter Bilanzen gehen, gegen den Vorstandschef von Korean Air samt Familie wird ermittelt und auch der Konzern Chef der Hanjin-Schiffswerft wurde auf der Jahresversammlung von Hanjin Heavy gestürzt. Das wäre vor 10 Jahren noch undenkbar gewesen. Das Tempo der Veränderungsprozesse ist enorm.

 

KDrama Produktionen aus demselben Jahr zeichnen dazu das stimmungsvoll illustrierte Hintergrundszenario: In "Crash Landing on you" (2019) war das Jaebeol Familienoberhaupt wie selbstverständlich wegen illegalem Geschäftsgebaren im Gefängnis. Zudem geht es um Erbstreitereien und die Arroganz des (Erst)Geburtsrechts.  2021 dokumentiert "Mine" sehr anschaulich, wie sich die Jaebeol-Familien selbst zerlegen... wie sich die Erben in ihrer noch jungen Identität als Jaebeol gebären als wären sie altes Adelsgeschlecht... Sie mussten sich noch nicht wirklich bewähren und scheitern bereits in der zweiten und dritten Generation an ihrer Arroganz. Die jüngste Generation schließlich interessiert sich schon gar nicht mehr für das Firmenimperium...

Eins ist klar: die Jaebeol werden noch eine ganze Weile für Zündstoff in Südkoreas Gesellschaft und damit auch in KDramen sorgen. Dabei werden sich die Szenarien sicherlich noch weiter wandeln.

Druckversion | Sitemap
© Wörtertanz.com 2021-2024