VOR ORT IM LAND - Erste Etappe Incheon - 2. Tag
Das KDrama hat uns gerufen. Daher möchten wir dem KDrama zum Auftakt unserer Reise die Ehre geben. Filmsets stehen heute auf dem Programm – und kaum irgendwo sind sie so konzentriert wie in Suwon. Dort wollen wir heute auf den Spuren der KDrama-Produktionen wandeln. Uns erwartet ein volkskundliches Open-Air-Museum, das gerne als Filmkulisse genutzt wird, sowie ein Filmstudio mit allem Schnickschnack.
Eigentlich … bin ich ja kein Fan von Themenparks und Co. Aber in diesem Fall bin ich durchaus bereit, mich just for fun spielerisch treiben zu lassen – mit den Massen … und auf volkskundlichen Spuren.
Und wenn wir schon mal in Suwon sind, dann kommen wir um die (UNESCO-)Festung Hwaseong nicht herum. Die Anlage steht einfach so fett mitten in der Stadt. So wie der trendig angesagte Kiez Haengnidan-gil – eigentlich eher ein Straßenzug …
Nun – bis jetzt hat uns das Jetlag verschont.
Könnte klappen …
Unsere Themen heute:
Zur Stadt Suwon
Suwon ist die Hauptstadt der Provinz Gyeonggi-do und liegt etwa 48 Kilometer südlich von Seoul. Die Stadt ist über die U-Bahnlinie 1 direkt mit der Hauptstadt verbunden.
Samsung Electronics – das Flaggschiff der Samsung-Gruppe – hat seit der Firmengründung hier seinen Hauptsitz. In den letzten Jahren sind die sogenannten Apate-Hochhäuser rasant in die Höhe geschossen, da sich die Metropolregion Seoul zunehmend in das Umland ausdehnt. (Das schafft echte soziokulturelle Herausforderungen - siehe ggf. "My Liberation Notes")
In Suwon befindet sich außerdem unübersehbar über die Stadt verteilt UNESCO Weltkulturerbe: die Festung Hwaseong mit ihrem stattlichen südlichen Tor Paldamun und dem Palast Haenggung.
Korean Folk Village
Shooting Location für die hier gelisteten KDramen:
The King’s Affection / Tale of the Nine Tailed / The Crowned Clown / Scholar Who Walks the Night / My Love from Another Star / Queen Seondeok
Korean Folk Village – auch bekannt als Minsok Village
Das Korean Folk Village wurde bereits 1974 erbaut – in Yongin, einem Ort, der heute zu Suwon gehört. Von allen Seiten wirkt das ländlich-grüne Freilichtmuseum wie ein kleiner Fremdkörper. Als das Navi uns stolz verkündete, wir wären gleich am Ziel, hatte ich kurz Sorge, dass die Koordinaten nicht stimmen … doch sie stimmten.
Im Grunde handelt es sich um ein volkskundliches Museum: Eine Rekonstruktion historischer Häuser aus unterschiedlichen Zeiten und Regionen des Landes – entweder originalgetreu wieder aufgebaut oder detailreich nachgebaut. Zusammen bilden sie ein einheitliches, konzentriertes Ganzes.
Geschichte wird hier lebendig und erlebbar. Damit bietet sich das Gelände zugleich als beliebte Kulisse für Film und Fernsehen an – zumindest, wenn es um die Welt abseits des Palasts geht: Die einfachen Leute, die etwas besser Betuchten (im wahrsten Sinne des Wortes) oder die Provinzbeamten. Die Liste der hier szenenweise gedrehten KDramas und KMovies ist lang – oben sind nur jene aufgeführt, die auch offiziell gelistet sind, und selbst die ist nicht vollständig …
Es gibt einiges zu sehen – sofern nicht gerade gedreht wird. Zu den anschaulich rekonstruierten Lebenswelten gesellen sich Mitmachaktionen rund ums Handwerk, Musik- und Tanzvorführungen, Themenausstellungen sowie natürlich Verköstigung und Shopping. Die Informationen sind auch auf Englisch verfügbar – was schön ist, denn keineswegs selbstverständlich.
Zu Beginn war der Besucher*innen-Andrang überschaubar. Doch schon bald wurden die Busladungen an Schulklassen mehr. Das Gelände allerdings ist riesig – und daher verläuft sich das angenehm.
Hanok – ein kurzer Exkurs zur traditionellen Bauweise
Hier sehen wir es zum ersten Mal – aber sicher nicht zum letzten. Daher an dieser Stelle ein kurzer Exkurs zur traditionellen Bauweise des Hanok.
Der Begriff Hanok ist eine vergleichsweise neue Erscheinung. Er tauchte als Konzept erst in den 1970er-Jahren offiziell auf. Gemeint ist damit der koreanische Baustil – genauer gesagt: das koreanische Haus. Und noch präziser: das Privathaus.
Zuvor bezeichnete der Begriff schlicht ein Gebäude – vom Palast bis zur Strohhütte.
Heizung und Lüftung im Hanok
Ondol (wörtlich: „heiße Steine“) bezeichnet das traditionelle koreanische Heizsystem, dessen Ursprünge bis in die prähistorische (!) Zeit auf der Halbinsel zurückreichen. Von der Feuer- bzw. Kochstelle wird die Hitze gezielt durch Hohlräume unter den Wohnräumen bis zum Kamin geleitet, wo der Rauch abziehen kann. Dabei erwärmen sich die Steine in der Bodenkonstruktion – und darüber, auf dem warmen Holzboden, spielt sich das prinzipiell bodennahe Leben ab.
Das Fußbodenprinzip, das im Winter wärmt, sorgt zugleich für Kühlung im Sommer. Unter dem Maru – dem zentralen Treffpunkt im Haus, also der Diele, wo alle Bewohner*innen und Gäste zusammenkommen – ermöglichen Hohlräume eine freie Luftzirkulation. So herrscht selbst an heißen oder durch den Monsun schwülen Tagen ein angenehm ausgeglichenes Raumklima.
Natürliche Materialien und FengShui
Die Filmsets bieten ein breites Spektrum an historischen Gebäuden, auch an traditionellen Wohnhäusern. Das Hanok ist landläufig ein Haus mit Schrägdach, gebaut aus Stein, Holz, Erde und Reispapier. Stroh als Dach für die einfachen Leute, Holz auch, und Ziegel für alle anderen. Im Innern ist der Raum maximal multifunktional konzipiert. Geschlafen wird auf tagsüber aufgerollten Matratzen, die nachts auf dem Boden ausgebreitet werden. Gegessen wird auf dem Boden sitzend an niedrigen Esstisch. Doch vieles spielt sich auch außerhalb der vier Wände ab, daher ist der Hof ebenfalls ein wichtiger Bestandteil.
Im Mittelpunkt stehen Multifunktionalität und Flexibilität. Aber wäre das allein spezifisch koreanisch? Wohl eher nicht. Die Fachwelt ist sich nicht ganz einig in der Definition eines Hanok. Wichtig ist dabei nicht nur die Bauweise, sondern auch die Lage. Dabei geht um eine möglichst optimale Harmonie zwischen gebauter und natürlicher Umwelt.
Holz …
… als vorherrschendes, natürliches Baumaterial dominiert die Hanok-Landschaft. Das ist ein Muss. Doch die konkrete Bauweise variiert je nach Region – beeinflusst durch kulturelle und klimatische Bedingungen, die Entstehungszeit und den sozialen Status der Bauherrschaft (links: das Haus eines Gelehrten).
Im Norden sind die Decken eher niedrig, um die Wärme im Winter besser zu halten. Im Süden hingegen weisen die Hanoks eine optimierte Durchlüftung für die heißen Sommermonate auf.
Je wohlhabender die Bewohner*innen, desto stärker ist die Zonierung in Gebäudetrakte ausgeprägt – mit getrennten Gemächern für Männer und Frauen sowie differenzierten Funktionsbereichen.
Die Grundrisse variieren: Mal U-förmig und eher introvertiert, mit Ausrichtung auf den gemeinsamen familiären Innenhof. Mal L-förmig, quadratisch oder rechteckig – und damit nach außen offener und einladender, mit Raum für Freiflächen, reichlich direkten Türen nach draußen und viel Licht aus allen Richtungen.
Koreanische Geomantie
Beim Bau eines Hanok ist – wie bereits erwähnt – die Lage entscheidend. In Korea hat sich eine eigene Variation der Geomantie mit langer Tradition entwickelt: Pungsu-jiri-seol – die Theorie über den Zusammenhang von Wind, Wasser und Erde (vgl. dazu meine Randnotiz zur Review des KMovies „FengShui“).
Bevorzugt wird das Haus auf drei Seiten von Bergen umgeben und zur Wasserquelle hin ausgerichtet. So passt sich das Hanok möglichst harmonisch der natürlichen Umgebung an – und profitiert von den Kräften des Ortes.
Die Konstruktion eines Hanok
Ein Hanok ist – in seiner Minimaldefinition – ein nach geomantischen Gesichtspunkten platzierter Holzbau. Das Dach ist mit Tonkeramikziegeln gedeckt, durchaus auch in bunten Farben (berühmtes Beispiel: das Blaue Haus), alternativ auch mit Stroh oder Holz. Weitere natürliche Materialien dominieren die Bauweise – etwa keine Nägel aus Stahl – ebenso wie traditionelle und regionale Gestaltungsvorlieben sowie ornamentale Details.
Wichtige Elemente sind das charakteristische Fußbodenheizungsprinzip (Ondol) und der Holzboden.
Im 21. Jahrhundert wurden zahlreiche Variationen ausdifferenziert – in Größe, topografischer Lage, architektonischer Noblesse und für spezielle Funktionen. Inzwischen werden neue Hanoks wieder im großen Stil gebaut – als Gegenentwurf zum Apate im Mehrfamilienhaus. Zugleich werden alte Gebäude liebevoll renoviert und modernisiert.
KBS Suwon Center
Shooting Location für die hier gelisteten KDramen:
Youth of May / Descendants of the Sun / I’m Sorry, I Love You /
Winter Sonata
KBS Suwon Center
Das KBS Suwon Center ist ein offenes Filmset mit angeschlossenen Studios, in denen laufend gedreht wird – TV-Serien, Filme und Werbespots. KBS gehört zu den drei großen Sendern des Landes.
Wir haben uns vorschriftsgemäß angemeldet. Der Haken: Die Führung findet ausschließlich auf Koreanisch statt. Hmpf. Zwar bekommen wir sie exklusiv – aber der Wermutstropfen: Ich darf nun das Wenige, das ich verstehe, auch noch simultan übersetzen … (Und ich bin schon nach der Begrüßung bedient.)
Es gibt sechs Studios, Bereiche für Schnitt und Untertitelung, Maske, Ankleide, ein Accessoire-Lager, Proberäume, Wartezonen (bis zum Auftritt) und Archive. Die Kameras der ersten Stunde sind ausgestellt – ebenso einige legendäre Requisiten, wie etwa die „Bridal Mask“, die man sogar anfassen oder anprobieren darf …
Auch ein Open-Air-Set ist vorhanden, mit dem Schwerpunkt auf Seoul im 18. Jahrhundert. Allerdings ist es einsturzgefährdet. (Statt einer Führung im Freien gab es daher eine 3D-Version des Making-ofs von „Bridal Mask“ – auch schön.)
Außerdem gibt es spezielle Bereiche für Miniaturaufnahmen, Explosionen und Unterwasser-Szenen. Gesehen haben wir vergleichsweise wenig – die Anlage ist riesig.
Haengnidan-gil
Nur wenige hundert Meter von der Hwaseong-Festung entfernt liegt eine der angesagten Adressen dieser Tage: Haengnidan-gil.
Ein kleiner, unscheinbarer Straßenzug – und dennoch als Geheimtipp hoch gehandelt. Rund 90 liebevoll gestaltete Läden mit Pfiff und Stil: Cafés, exotische Bars, Bäckereien, Konditoreien, Restaurants, Töpferstudios und Galerien.
Wir haben Hunger, sind aber unentschlossen.
Da lockt uns ein Café mit schönem Innenhof.
Es gibt einiges zu sehen – Lifestyle pur: Junge Menschen, die am Handy kleben, in seltsamen Pyjamas (vielleicht ein Boygroup-Star, den wir nicht kennen, der hier sein neuestes Modelabel vorführt?). Wir sind nicht überzeugt … aber so sind sie eben, die Geschmäcker.
Ihre Hunde werden spazieren getragen (!) – und dabei begegnen sie ihrer Umwelt gut gelaunt und friedlich.
Wir schlürfen unsere Kaltgetränke. (Es muss nicht immer süß sein – ich entscheide mich für einen Matcha auf Eis.)
Und als wir das Café verlassen, scheinen plötzlich viele Restaurants geöffnet zu haben, die vorher noch verschlossen wirkten.
Zu spät – wir haben bereits umdisponiert.
Hwaseong – UNESCO-Welterbestätte
Die Festung Hwaseong wird von einer knapp sechs Kilometer langen Mauer umgeben, die 1796 unter König Jeongjo errichtet wurde. Jeongjo hatte das Grab seines Vaters, Kronprinz Sado, hierher verlegen lassen.
Jeongjo selbst war bereits früh zahlreichen Attentaten ausgesetzt. Innerhalb der politischen Gruppierungen waren die Fronten verhärtet. Mit Hwaseong versuchte er, ein neues Machtzentrum zu schaffen – und wollte die zwanzig reichsten Familien dazu bewegen, ihre Handelsbasis in Hwaseong aufzubauen.
Beim Bau der Anlage kamen innovative Techniken zum Einsatz – etwa eine Art Kran und eine frühe Version des Flaschenzugs. Dadurch dauerte der Bau nicht, wie ursprünglich geplant, zehn Jahre, sondern nur zweieinhalb! Im Anschluss wurde innerhalb der Mauern eine neue Stadt geplant und errichtet – samt der Palastanlage Haenggung, dem Tempel Seongsinsa und der königlichen Bibliothek Gyujanggak.
Der Palast Haenggung ist besonders groß, war äußerst beliebt und diente den Joseon-Königen nach Jeongjo als Ruheplatz, als Unterkunft bei Besuchen am Grab von Kronprinz Sado, als provisorischer Palast oder als Rückzugsort in Kriegszeiten. Ansonsten wurde er auch als Rathaus genutzt.
Das haben wir allerdings nur zur Kenntnis genommen und nicht weiter besucht … Wir wollten die Festung vielmehr als Stadtbaustein im modernen Leben 2023 auf uns wirken lassen.
Hwaseong – zwischen Geschichte und Gegenwart
Die Festung erfüllte ihre militärische Funktion außerordentlich gut – dennoch nahm sie im Laufe der Zeit Schaden, zuletzt im Koreakrieg. Noch immer sind rund 500 Meter der Mauer nicht wieder instand gesetzt.
Seit 1963 ist Hwaseong als Historische Stätte Nr. 3 in die Liste der geschützten Kulturgüter aufgenommen. Seit 1997 gehört sie zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das südliche Tor Paldalmun („querdurch in alle Richtungen“) gilt als Nationalschatz.
Heute liegt die Festungsanlage mitten in der Stadt und eignet sich wunderbar für Spaziergänge mit Aussicht, Events und Picknicks.
Wir haben das geprüft … es stimmt.
Unser geflügeltes Wort seit heute:
„Oh, da läuft ja auch mal ein Hund …“
Kulinarisches Fazit
Wir sind essenstechnisch immer noch zurückhaltend.
Im Korean Folk Village gab es als Snack-Zugabe zum Ticket Reiskuchen mit roter Bohnenfüllung.
Joka war nicht so überzeugt – Eonni und ich hingegen schon. Jedenfalls hat es fürs Erste gereicht.
KimBap in seinen vielfältigen Variationen dient uns weiterhin bestens.
Ideal fürs Picknick – und für Suwon sowieso.
Eonni hat das letzte Wort
Als wir die Incheon-Brücke zurück auf unsere Insel überqueren und ich Eonni nach ihrem letzten Wort für heute frage, gibt sie es mir – immer noch gut gelaunt, aber sichtlich müde vom Fahren.
An dieser Stelle also ein herzliches Dankeschön an unser Fahrteam.
Eigentlich war es nicht weit, doch der Verkehr – besonders am Vormittag – war dicht.
Eonni ist super gefahren. In aller Gelassenheit.
Stets mit Humor.
Manchmal schimpfend durch die getönten Scheiben.
(Frau sieht ja nie, wer im anderen Auto sitzt …)
Joka daneben hat vorausschauend mitgedacht – und stets das Geld für die Maut abgezählt bereitgehalten.
Die beiden sind ein großartiges Team. Ich bin begeistert.
Und wieder spielt der Oboist seine Abend-Tunes, während ich hier schreibe …