KDrama nach Themen: Mehr Drama geht immer
You and Everything Else ist kein Wohlfühl-Drama.
Es handelt sich dabei um eine präzise, manchmal gnadenlose Analyse einer jahrzehntelangen Frauenfreundschaft. Einer schicksalhaften Frauenfreundschaft.
Erzählt mit einer schleichenden, schonungslosen Intensität, deren Wucht sich erst im Verlauf offenbart. Kim Go-eun und Park Ji-hyun verkörpern keine Klischee-Best-Friends, sondern zwei Frauen, die sich lieben, beneiden, verletzen und doch nicht voneinander loskommen. Die Serie verweigert jede sentimentale Abkürzung und legt stattdessen die Schichten dieser Beziehung frei, bis nur noch das rohe Geflecht aus Abhängigkeit, Macht und Schuld übrig bleibt. Weibliche Freundschaft wird hier ins Zentrum gerückt – in all ihrer Ambivalenz, als Liebe, als Rivalität, als Abhängigkeit. Damit rückt die Serie ein Thema ins Rampenlicht, das in Korea selten so kompromisslos dargestellt wird.
Besonders eindrucksvoll ist die Figur der Cheon Sang-yeon - und das Schauspiel von Park Ji-hyun gleich mit. Sie wirkt wie das emotionale Echo ihres Bruders, aber in verkehrter Spiegelung: charismatisch, unnahbar, voller innerer Brüche. Ihre Motive bleiben undurchsichtig, ihre Nähe ist nie eindeutig, ihre Distanz nie endgültig. Psychologisch trägt sie Züge einer pathischen Persönlichkeit – jemand, der Nähe sucht, aber nur unter Bedingungen, die sie selbst kontrolliert. Psychologisch könnte man vielleicht von narzisstischer Verletzlichkeit sprechen – einer Mischung aus Grandiosität und tiefer innerer Leere. Ihre Herkunft erklärt vieles: eine wohlhabende, distanzierte Familie, in der Status wichtiger ist als Zuneigung. Der Tod des Bruders erschüttert die Familie zutiefst. Die Asienkrise der 1990er Jahre setzt zudem eine ökonomische Zäsur. Herausforderungen, an denen die Familie scheitert. Und Sang-yeon steht damit alleine da.
Eun-jung dagegen, aus einfacheren Verhältnissen, wirkt fast naiv im guten Sinne – bodenständig, loyal, geerdet. Sie ist keineswegs eine schwache Figur – sie ist emotional stabil, aber eher konfliktscheu. Ihre „Anständigkeit“ ist nicht konservativ, sondern empathisch. Ihre Naivität dient ihr als ein Schutzmechanismus gegen die manipulative Komplexität von Sang-yeon. Eun-jung ist die moralische Instanz der Serie, das Gewissen, das helfen will, ohne zu manipulieren. Gerade dieser Kontrast macht die Beziehung so intensiv: hier die pathisch aufgeladene, höchst manipualtive Tochter der Oberschicht, dort die empathische und dann doch loyale Tochter der Mittelschicht.
Die Serie berührt gesellschaftliche Tabus, die in Südkorea selten offen verhandelt werden. Sterbehilfe ist ein hochsensibles Thema. Noch subtiler sind die queeren Andeutungen. Bezeichnender Weise wagt sich das KDrama auch nicht über vage Andeutungen und Subtext hinaus. Da wirken Sang-yeons Gefühle für denselben Mann wie ihre Freundin stellenweise weniger wie romantische Rivalität, sondern wie ein Stellvertreterkonflikt. Zwischen den Zeilen schimmert eine verdrängte Sehnsucht nach Eun-jung selbst – eine Dimension, die so nie ausgesprochen wird, aber die psychologische Spannung verstärkt.
Um die Wucht dieser Serie zu verstehen, lohnt auch ein Blick auf die koreanische Erzähltradition. Das schwer übersetzbare Gefühl des Han – Trauer, Groll, unerfüllte Sehnsucht – ist ein Grundton vieler Dramen und auch hier spürbar: in Sang-yeons unerfülltem Leben, in Eun-jungs Loyalität, die zur Selbstaufgabe wird. Wer in You and Everything Else die für das KDrama bewährte Emotionalisierung erwartet, trifft hier allerdings vergleichsweise selten auf Tränenfluten. Stattdessen gibt es karge Dialoge, und statt Pathos eine fast dokumentarische Nüchternheit. Doch die verschärfen noch, wie nahe einem die beiden, Eun-jung und Sang-yeon in ihrer fatalen Verstrickung, mitunter gehen - denn da ist nichts, was beschönigt oder glättet. Und das Schicksal legt den beiden bei jeder erneuten Begegnung eine weitere Schippe mit drauf, so scheint es. Mehr Drama geht eben immer. Und: Makjang geht auch leise...
Formal bleibt die Serie streng, elliptisch, spröde. Wer schnelle Plotpoints erwartet, wird enttäuscht. Wer sich einlässt, erkennt: Hier geht es nicht um Sentimentalität, sondern um die feinen Risse unter der Oberfläche, um das, was nicht gesagt werden darf. You and Everything Else ist damit mehr als ein Drama über Freundschaft. Es ist eine psychologische Studie über Bindung und Verlust, ein gesellschaftlicher Kommentar über Tabus in Korea und ein Spiegel für die unbequeme Frage, wie weit Freundschaft tatsächlich trägt, wenn es darauf ankommt.
Eindringlich. Bewegend.
Prädikat: besonders wertvoll.
은중과 상연 - Eunjunggwa Sangyeon
Lit.: Eun-jung und Sang-yeon
2025, 15 Episoden
Hauptdarsteller*innen:
- Kim Go-eun
- Park Ji-hyun
- Kim Gun-woo
- Kim Jae-won
Plot:
Ryu Eun-jung und Cheon Sang-yeon lernen sich als Kinder kennen – eine Freundschaft, geprägt von Bewunderung, Rivalität und unterschwelliger Eifersucht. Über Jahrzehnte hinweg verlieren sie sich immer wieder aus den Augen und begegnen sich doch immer wieder von Neuem. Auch mit 20. Auch mit 30. Auch mit 40.
Beide sind längst in der Film- und Fernsehproduktion etabliert, und fast scheint es, als würde sich das Karusell wieder rückwärts drehen. Aber dieses Mal ist alles anders. Wie schon zuvor stellt das Leben ihre Bindung auf die Probe – nur dass die neue Herausforderung alle bisherigen sogar noch übertrifft. Am Ende stehen Eun-jung und Sang-yeon an einem Wendepunkt und müssen entscheiden, wie weit sie wirklich bereit sind, miteinander zu gehen.