Unterwegs im Koreanischen
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KDrama nach Themen: Beispiele für KMovie

A Petal

“A Petal” ist schwere Kost. Krass. Intensiv. Aufwühlend. Unvergesslich.

Prädikat „besonders wertvoll“.

 

Es packt die Zuschauer*innen mit einem schönen, harmlosen (südkoreanischen) Ohrwurm aus den 1970ern und zerrt uns schonungslos in die psychisch gestörte Realität eines 15jährigen Mädchens, das seelisch in den Ereignissen eines historisch verhängnisvollen Tages in Gwangju im Mai 1980 gefangen ist. Die leidvollen, unerträglichen, unfassbaren, nicht zu verkraftenden Ereignisse durchlebt sie seitdem immer und immer wieder aufs Neue. Verzweifelt auf der Suche nach ihrem großen Bruder, um ihm das alles, was sie erleben und erleiden musste, und immer noch nicht verstehen kann, zu erzählen. Doch der ist längst auch schon verstorben.

 

„A Petal“ ist für all jene, die über das Gwangju Massaker nichts wissen, gewissermaßen ein eindrucksvoll plastisches, berührendes, filmisches Dokument einer posttraumatischen Belastungsstörung. Wie gesagt, das KMovie zieht uns emotional mit hinein in diese erbarmungslose Innenwelt und lässt uns das mit-fühlen. Die Filmtechnik vereint Farbe, lose, immer wieder eingeschobene Fragmente als Flashbacks in Schwarzweiß, animierte Traumsequenzen und mehr, um die gestörte Wahrnehmungswelt auch ästhetisch für die Zuschauer*innen näher zu bringen. 

 

Doch „A Petal“ ist auch ein historischer Meilenstein des südkoreanischen Films. Hier wurde das Gwangju Massaker als Symbol für die gewaltsame Unterdrückung der Demokratiebewegung im Land erstmals erschütternd realitätsnah im Film dargestellt. 

(Ende Mai 1980 ging das Militär in Gwangju gegen demonstrierende Zivilist*innen vor, folterte unschuldige Menschen brutal und tötete vermutlich bis zu 2.300 von ihnen. Niemand konnte die Stadt betreten oder verlassen, und auch die Telefonleitungen waren unterbrochen.)

Das 15jährige Mädchen, unschuldig und ahnungslos wie sie war, und geschunden, getreten, hilflos in ihrem Trauma gefangen, unverstanden umhergestoßen und sexuell missbraucht wie sie nun ist, personifiziert dabei gleichsam die Nation, die diesem Trauma von Gwangju (auch 16 Jahre später immer noch) ausgeliefert ist. Eine Nation, die nicht so recht weiß, wohin damit. Die es nicht wirklich aufgearbeitet hat. Keine Chance dafür bekommen hatte.

Die Umwelt, dem das Mädchen auf ihren Irrwegen durch die Provinz Jeollanam-do begegnet, insbesondere jener alleinstehende Mann, dem sie sich zuletzt aufdrängt, repräsentiert all jene, die diesen Mai 1980 in Gwangju nicht miterlebt haben und bis dato auch nie wirklich erfahren haben, was da passiert ist, beziehungsweise dass da überhaupt etwas vorgefallen war. Das diktatorische Regime hatte für weitgehendes Stillschweigen gesorgt.

 

Das Mädchen ist das personifizierte, lebendige Zeugnis der großen Opfer der südkoreanischen Demokratiebewegung. Der Mann, grob und missbräuchlich, im täglichen Sumpf seines tristen Alltags, verkörpert hingegen die in Hinblick auf die neuen Chancen und Freiheiten der Demokratie noch recht unerfahrene träge Masse des Volkes, die noch in den alten, gewaltdominierten, diktatorischen Strukturen gefangen ist. Diese beiden sind zwar ganz konkret, doch zugleich namenlose Symbole der Gesellschaft zu Beginn der noch ganz jungen Demokratie im Land, Anfang der 90er Jahre. Die Freunde des Bruders auf ihrer beharrlichen, doch mühevollen Suche nach dem 15jährigen Mädchen, stehen dabei für ´uns´, die Zuschauer*innen (insbesondere in Südkorea jener Zeit). Für die nötige Aufklärung und bewusste Aufarbeitung, für die Kommunikation die erforderlich ist, für das Bezeugen und Offenlegen, damit die immer noch offenen Wunden nicht ignoriert und verdrängt, sondern versorgt werden, Zuwendung erhalten und somit irgendwann im Laufe der Zeit vielleicht auch verheilen können. Damit Raum für neue Erfahrungen geschaffen werden kann.

 

Regisseur Jang Sun-woo saß selbst zum Zeitpunkt des Massakers in Gwangju wegen seiner Aktivitäten in der studentischen Demokratiebewegung im Gefängnis. Damals entschied er sich, in Zukunft gesellschaftskritische Filme zu machen. Diese Zukunft ließ jedoch noch 15 Jahre auf sich warten. Erst in den 1990er Jahren konnte die Demokratiebewegung im Land ihre ersten Früchte ernten. Erst 1996 war es möglich, die unfassbaren Ereignisse vom Mai 1980 an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen. 

 

Der Film „A Petal“ ist schonungslos, geradezu radikal in seiner puristischen, rigorosen Realitätsnähe. Insbesondere Lee Jung-hyun, die hier ihr Schauspieldebut gab, musste von 0 auf 100 an ihre Grenzen gehen, um sich innerlich mit der psychisch völlig verstörten Protagonistin zu verbinden, sie aus sich selbst herauszuholen und überzeugend zu verkörpern. Doch auch Moon Sung-keun konnte zeigen, was in ihm steckt. Die Intensität von „A Petal“ ist geradezu atemberaubend. Nicht ´schön´. Aber unvergesslich! Damit ist die Mission geglückt…

 

Verdiente (zudem internationale) Preise gab es einige. Vielleicht haben aber auch manche Zuschauer*innen das Kino vorzeitig verlassen. Der Film fordert sein Publikum. Wir sollen uns auf die verstörende psychische Situation des Mädchens einlassen. Auf das, was dazu geführt hat, dass sie so geworden ist. Und auf das, wie ihre Umwelt auf ihre augenscheinliche Verrücktheit ebenfalls (zunächst) ablehnend, ahnungslos, hilflos und dabei vor allem gewaltsam reagiert. Berührend bei alledem, wie aus der anfangs hemmungslos missbräuchlichen Beziehung dann doch auch eine fürsorgliche erwächst.

 

Der Titel ist der Titel eines Lieds, das das Mädchen so gerne mag und auch singt, damals, bevor das alles geschehen ist. 

Das Lied „A Petal“ erzählt davon, wie die Blüteblätter fallen, die Erinnerung daran schwer zu ertragen ist, denn da gab es einen Abschied. Da gibt es ein Bedürfnis, miteinander zu reden... und immer wieder, wenn die Blütenblätter fallen, die Erinnerung an diesen abrupten Abschied, was schwer zu ertragen ist...

Das Thema dieses Lieds wird zum Thema dieses Mädchens… das auf der verzweifelten Suche nach ihrem Bruder ist, um ihm zu erzählen, was vorgefallen war, was sie erleben musste, was sie bis heute nicht fassen kann und nicht versteht.

 

 

 

PS:

Mehr Hintergrunddetails zum Gwangju Massaker u.a. in den Randnotizen zu „Sandglass“ oder zu "Peppermint Candy", die jeweils eine ähnliche Mission wie "A Petal" verfolgen.

꽃잎 – Kkonnip

Lit.: Blütenblatt

 

1996, 101 Minuten

 

Hauptdarsteller*innen:

- Lee Jung-hyun

- Moon Sung-keun

- Sul Kyung-gu

- Chu Sang-mi

- Park Chul-min

 

Plot:

Ein verwahlostes, heimatloses Mädchens trifft am Fluss auf einen Bauarbeiter auf seinem Heimweg. Sie hängt sich an ihn dran und lässt sich nicht abschütteln. Auch wenn er noch so grob und brutal zu ihr ist, sie geht mit ihm, bleibt gegen seinen Willen bei ihm in seiner primitiven Hütte und erträgt geradezu besinnungslos all seine Launen, da sie längst den Bezug zu sich, zu ihrem Körper, ihrem Verstand und ihren Gefühlen verloren hat.

 

Über ihre Flashbacks erfahren wir in Segmenten, was die Geschichte dieses Mädchens ist und was sie zu der gemacht hat, die sie heute ist:

Das Mädchen lebt ein einfaches Leben auf dem Land. Bis eines Tages Regierungsbeamte ihre Mutter davon unterrichten, dass ihr Bruder bei einem Unfall während seines Militärdienstes ums Leben gekommen ist.

Die fassungslose Mutter kleidet sich in der Trauerkleidung - einem weißen Handbok - und will nach Gwangju um zu erfahren, wo ihre verstorbener Sohn ist. Das Mädchen soll zuhause bleiben. Doch die hört nicht und begleitet stattdessen ihre Mutter. Die beiden geraten zufällig mitten hinein in die eskalierenden Demonstrationen der Studierenden und der empörten Stadtbewohner*innen, die auf den Straßen gegen den Einsatz von Waffengewalt gegen die Zivilbevölkerung und gegen das ausgerufene Kriegsrecht protestieren. 

Das ist der Tag, an dem alles eskaliert und das Militär anfängt, die scharfen und richtig schweren Geschütze rücksichtslos gegen die Stadtbevölkerung zu richten. Unschuldige Menschen sterben in großer Zahl. Darunter auch die Mutter des Mädchens. Das Mädchen überlebt - täglich aufs Neue verfolgt von den überwältigenden, blutigen Eindrücken dieses Massakers.

 

Die Freunde ihres Bruders haben sich zwar längst auf die Suche nach ihr gemacht, doch sie kommen stets zu spät, da das rastlose Mädchen früher oder später immer wieder weiterzieht, auf der Suche nach ihrem Bruder... und Erlösung. 

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