KDrama nach Themen: Beispiele für KMovie
Ich hätte zu Beginn des KMovies "Seopyeonje" niemals gedacht, dass dieser Film derart von mir Besitz ergreifen könnte, mich subtil in sein feines Netz aus Pansoriklängen hüllen und am Ende zutiefst berührt und emotional unvergleichlich satt zurücklassen würde. Im Gegenteil, anfangs war ich sogar versucht, gar nicht weiterzuschauen... und doch, ganz leise, spielte sich "Seopyeonje"unvergesslich in mein Herz.
Es ist ein stilles Meisterwerk. Poesie in Bildern. Minimalismus, der nichts weglässt, sondern nur das sagt, was gesagt werden muss.
Und dann: dieser Moment, in dem sich der Funke des Han – jenes tief sitzenden Gefühls von Verlust, Schmerz und Sehnsucht – überträgt. Nicht mit Pathos. Sondern mit einem leisen Blick. Einer Melodie. Einem unvollendeten Satz.
Natürlich gibt es dafür von mir das Prädikat besonders wertvoll. Da bin ich nicht die Erste. "Seopyeonje" wurde 1993 zunächst nur in Seoul gezeigt, doch das Publikum war so ergriffen, dass der Film landesweit in die Kinos kam – gegen jede Erwartung. Bald sahen über eine Million Menschen diesen leisen Film, der kein Spektakel bietet, aber eine unfassbare innere Wucht entfaltet. Viele Kritiker:innen sprechen bis heute von einem Wendepunkt im koreanischen Kino – "Seopyeonje" war der erste ernsthafte Versuch, eigene kulturelle Wurzeln filmisch zu ergründen, mit Stolz, Tiefe und leiser Schönheit.
Pansori, Han und die Schule des Schmerzes
Der Titel Seopyeonje verweist auf einen der drei Hauptstile des Pansori: den westlichen, besonders getragenen und technisch vielleicht anspruchsvollsten. Seopyeonje ist dabei nicht nur Musik – es ist Erzählung, Klang, Atem. Lebensthema der Protagonist*innen, zentrales Motiv des Films, spiritueller Kern. Und zugleich Spiegel eines Leidens, das nicht nur auf der koreanischen Halbinsel zuhause ist.
Han – dieses Wort beschreibt im Koreanischen kein individuelles Leid, sondern eine kollektive, tiefliegende Wunde. Geformt durch Kolonialherrschaft, durch Trennung, durch Unfreiheit. Doch Han ist nicht bloß Schmerz – es ist auch Kraft. Trauer, die nicht vergeht, aber vielleicht verwandelt werden kann. In Musik. In Bewegung. In Erinnerung.
Seopyeonje lebt davon. Der Film zwingt uns nicht zum Mitfühlen – er lädt uns ein. Auf leise Bilder. Auf Pausen. Auf das Unsichtbare zwischen den Tönen.
Das KMovie ist eine Inszenierung wie ein Lied in Licht gegossen. Was Regisseur Im Kwon-taek hier gelingt, ist mehr als Kino. Es ist wie ein gesungenes Gedicht. Die Kamera ist fast bewegungslos, als wolle sie den Klang nicht stören. Landschaften gleiten nicht vorbei, sie verweilen. Farben – vor allem Weiß, Braun, Dunkelrot – scheinen aus einer Erinnerung zu stammen, nicht aus der Gegenwart. Jede Szene ist komponiert wie ein Takt in einem langen Lied.
Dabei spricht der Film eine stille Filmsprache: Wo andere Dialoge einsetzen, schweigt "Seopyeonje" – oder lässt ein Pansori-Stück sprechen. Wenn Song-hwa singt, steht die Zeit. Und das ist vielleicht das größte Kunststück: Dass man am Ende vergisst, dass man zuschaut – und beginnt zu lauschen.
Die wohl tiefste Zäsur des Films ist nicht laut – sie geschieht fast beiläufig. Song-hwa, die Adoptivtochter, verliert ihr Augenlicht. Was erst wie eine Tragödie erscheint, wird zu einem verstörenden Akt der Hingabe: Ihr Vater Yu-bong nimmt ihr das Sehen, damit sie nur noch hören muss – um ganz mit dem Pansori verschmelzen zu können. Es ist Opfer und Übergriff zugleich, erschütternd und ambivalent. Doch "Seopyeonje" urteilt nicht – der Film lässt uns selbst spüren, ob darin Schönheit liegt oder Zerstörung.
Song-hwas Gesang nach der Blindheit ist reiner, klarer, eindringlicher. Doch um welchen Preis? Das bleibt offen – wie so vieles in diesem Film. Und vielleicht ist das seine größte Wahrheit: Dass keine Antwort laut sein muss, um gültig zu sein.
Pansori ist nicht nur eine Kunstform – es ist ein kulturelles Gedächtnis. Seit Jahrhunderten wird diese epische Gesangstradition in Korea von einer Sängerin oder einem Sänger, begleitet von einem Trommler, vorgetragen – mit Stimme, Gestik, Atem. Die Geschichten, oft mehrere Stunden lang, verbinden Volksmärchen mit literischer Tiefe, Improvisation mit Ritual.
Ursprünglich im Südwesten Koreas entstanden, war Pansori lange eine mündlich überlieferte Kunst der einfachen Leute. Erst im 19. Jahrhundert fand es auch Anerkennung in der städtischen Elite. Doch mit der Modernisierung drohte das Wissen zu verschwinden – bis es 1964 von der koreanischen Regierung als Nationales Immaterielles Kulturerbe anerkannt wurde. 2003 folgte die Aufnahme in die Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit durch die UNESCO.
Diese Anerkennung war mehr als ein Titel – sie war ein Rettungsanker. Seither wird Pansori aktiv gefördert, gelehrt, weitergegeben. Und doch: Die ursprüngliche Spontaneität, das freie Improvisieren, das einst den Zauber ausmachte, ist heute seltener geworden. Viele Aufführungen folgen festen Texten, das Publikum ist weniger vertraut mit den alten Codes. Aber der Klang bleibt. Und mit ihm das, was "Seopyeonje" so eindrucksvoll zeigt: dass eine Stimme allein genügen kann, um eine ganze Welt zu tragen.
PS:
Mit diesem imateriellen Erbe beschäftigt sich übrigens auch das KDrama "Jeongnyeon: The Star is Born" aus dem Jahr 2024. Doch während darin der Erfolg und die Begeisterung des Publikums eine wichtige Rolle spielt, gilt in diesem KMovie der Satz: „Selbst wenn niemand zuhört – ich singe weiter.“
서편제 - Seopyeonje
Lit.: Seopyeonje
1993, 112 Minuten
Hauptdarsteller*innen:
- Oh Jeong-hae als Song-hwa
- Kim Myung-gon als Yu-bong
- Kim Kyu-chul als Dong-ho
Plot:
Dong-ho begibt sich auf die Suche nach seiner Schwester. Deren Beziehung entfaltet sich im Wechselspiel aus Spuren, denen er folgt, und Rückblicken - Erinnerungen an seine Kindheit.
In den 1950er- und 60er-Jahren reiste er mit seiner kleinen Familie durch die ländlichen Regionen Südkoreas: mit seinem Vater, dem strengen Pansori-Meister Yu-bong, und der Adoptivtochter Song-hwa. Yu-bong widmete sein Leben der Bewahrung der traditionellen Gesangskunst Pansori – und verlangte dafür völlige Hingabe. Als Dong-ho sich von der Härte des Vaters und den Entbehrungen ihres armen Lebens abwenden wollte, blieb Song-hwa zurück – und opfert alles, um zur perfekten Sängerin zu werden.
Nach all den Jahren kommt es dann tatsächlich zur Begegnung zwischen Dong-ho und Song-hwa... doch die ist ganz anders, als sie erwartet hätten. Und dann auch wieder nicht...